Verwendungszwecke, Funktionen, Leistungen des Symbolgebrauchs

 

Projekt für das Symbolforschungs-Kolloquium 2025

Übersicht

"Symbol" sei im weiten Sinne verstanden; auch die Funktionen von Metaphern, Allegorien, Exempel, Personifikationen, Gesten und Gebärden, Exempla sollen ins Blickfeld kommen. Entscheidend ist, dass Signifiant und Signifié aus zwei Weltausschnitten stammen, die (mehr oder weniger präzis) aufeinander bezogen werden.

Thema ist diesmal nicht ein Signifiant (z.B. Pfeil, ein Tier, die Hand) oder ein Signifié (z.B. die Seele, die Darstellung von Identität). Freilich haben wir bei deren Besprechung immer schon Funktionen erörtert.

Es folgt eine ungeordnete Ideen-Sammlung; die Texte sind vorderhand noch ins Unreine formuliert........

Das Symbol ist Beglaubigung für etwas schwer Fassliches

Der Löwe, der die totgeborenenen Jungen erweckt, beglaubigt, dass Maria das Jesuskind vom Heiligen Geist empfing.

Leo si rugitu proles suscitare valet
Cur vitam a spiritu virgo non generaret

Mag der lewe sine kinder
erquicken mit synem ruffen
So mag ouch ein jungfrauw geschwinde
empfahen by des engelß grussen

Johann Eysenhut, Defensorium inviolatae virginitatis Mariae, [Regensburg] 1471.
> https://dhb.thulb.uni-jena.de/receive/ufb_cbu_00003755

Ermächtigung

Das Symbol ermächtigt bzw. verpflichtet seinen Besitzer oder den die bedeutsame Geste Ausübenden zu einer Handlung.

Den Fehdehandschuh werfen ist eine Kriegserklärung. Oder so:

Bey jhnen ist es der Gebrach/ wannn ein König dem andern ein Krieg anbieten wil/ lesset er […] Pfeile/ an welcher Spitzen klein Haarlöcke gebunden seynd/ hin vnd wider/ an die gemeine Strassen auffstecken.

Jacques Le Moyne de Morgues / Theodor de Bry [Hrsg.]; Oseas Halen [Übers.], America [Band 2]: Von dreyen Schiffahrten, so die Frantzosen in Floridam (die gegen Nidergang gelegen) gethan[…]; Mit Beschreibung vnd lebendiger Contrafactur, dieser Prouintz , Frankfurt a.M. 1603.
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bry1603bd2/0085/image

Mnemotechnische Funktion

Das Symbol hat eine mnemotechnische (= der Erinnerung dienende) Funktion

Beispiel:

Thomas Murner, Logica memorativa, Argentoratum, 1509.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009762/image_59

Beispiel: Die Sieben Todsünden .......

superbia – Hoffart, Überheblichkeit
avaritia – Habgier
luxuria – (sexuell konnotierte) Ausschweifung
invidia – Neid, Missgunst
gula – Schlemmerei
ira – Zorn
acedia – Trägheit, Faulheit

... als ein aus verschiedenen Lebewesen zusammengesetztes Mönsterchen

BSB Clm 8201, fol. 95r (Ausschnitt)
> https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00040329?page=193

> http://www.symbolforschung.ch/Lasterallegorien.html

Theophanie / Dämonologie

Das Symbol springt da ein, wo ›das Eigentliche‹ definitionsgemäß nicht fassbar ist. Das trifft für weite Bereiche der Religion zu.

Gute Gottheiten werden gerne anthropomorph dargestellt – aber doch verklärt!

Liber Genesis, aereis formis a Crispin Passaeo expressus versebusque tam Latinis quam Germanicis ornatus, sententijs item ex ss. patribus desumptis, explicatus per R.D. Gulillelmum Salsmannum, [Erstausgabe: Arnhemii: Apud Iohannem Iansonium 1616]

> http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/gottesbilder.html

Böse Gottheiten haben viele verschiedene Gestalten:

Hieroglyphica, oder Denkbilder der alten Völker, namentlich der Aegyptier, Chaldäer, Phönizier, Jüden, Griechen, Römer, u.s.w. Nebst einem umständlichen Berichte von dem Verfalle und der eingeschlichenen Verderbniß in den Gottesdiensten, durch verschiedene Jahrhunderte, und endlich die Glaubensverbesserung, bis auf diese Zeit fortgesetzt, in LXIII Capiteln, und so viel Kupfertafeln beschrieben und vorgestellet durch Romeyn de Hooghe, […]. Amsterdam, Arkstee und Merkus 1744. Bild Nr. XXIX

> http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN497825848

Vgl. auch > http://www.symbolforschung.ch/Teufel.html

Ausdruck von Emotionen

Franciscus Lang, S.J., Dissertatio de actione scenica, cum Figuris eandem explicantibus, et Observationibus quibusdam de arte comica, Monachii 1727. – Abhandlung über die Schauspielkunst, übersetzt und herausgegeben [und mit einem Nachwort versehen] von Alexander Rudin, Bern: Francke 1975.

> http://www.symbolforschung.ch/Emotionen.html

Soziale Beziehung

Dominanz – Distanz – Unterwürfigkeit – Ehrerbietung – Reverenz u.a. können mittels ›Körpersprache‹ ausgedrückt werden.

Die Geste der Verbeugung ist alt. Hier einige Beispiele aus der Bibel:

1. Mos 23,7: Da stand Abraham auf und bückte sich vor dem Volk des Landes

1. Samuel 24,9: Und David neigte sein Antlitz zur Erde und fiel nieder (lat.: inclinans)

1. Samuel 25,41: Abigail ... fiel nieder auf ihr Angesicht zur Erde und sprach: Siehe, hier ist deine Magd, das sie diene den Knechten meines Herrn und ihre Füße wasche.

1. Könige 1,31: Da neigte sich Bathseba mit ihrem Antlitz zur Erde und fiel vor dem König nieder und sprach: Glück meinem Herrn, dem König David, ewiglich!

Ester 5,9: Da ging Haman des Tages hinaus fröhlich und gutes Muts. Und da er sah Mardochai im Tor des Königs, daß er nicht aufstand noch sich vor ihm bewegte, ward er voll Zorns über Mardochai.

Die im 17.Jahrhundert überschwänglich praktizierte Verbeugung wird bald karikiert:

Der Complimentier-Narr

Ich kan mit meinem Compliment
Fast nie gelangen zu dem End.
Ich gratulier, und condolier,
Mit Reverenz, jetzt deprecier.
Wann ich die gantze Rede vollbracht,
Der grossen Falschheit jeder lacht.

[Abraham a Sancta Cara fälschlich zugeschrieben] Centi-Folium stultorum in Quarto, Oder Hundert Ausbündige Narren in Folio. Neu aufgewärmet und in einer Alapatrit-Pasteten zum Schau-Essen, mit hundert schönen Kupffer-Stichen, zur ehrlichen Ergötzung, und nutzlichen Zeit-Vertreibung, sowohl frölich- als melancholischen Gemüthern aufgesezt; auch mit einer delicaten Brühe vieler artigen Historien, lustiger Fablen, kurtzweiliger Discursen, und erbaulicher Sitten-Lehren angerichtet, Wien: Megerle und Nürnberg: Weigel 1709.

Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726–1801) kennt dieses Buch und verwendet das Bild im Göttinger Taschen Calender 1782 unter Centifolium Stultorum:

Auf welcher ethologischen Basis beruhen solche Gesten?

Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe und Hass. Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen, München: Piper 1970; Abb.51: Die Verbeugung ist wahrscheinlich eine ritualisierte Form der Aufforderung zur Fellpflege.

Literatur hierzu: Manfred Beetz, Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart: Metzler 1990.

 

Traumdeutung

Nicht erst bei Sigmund Freud und Carl Gustav Jung!

Joseph deutet die Träume des Pharao von den sieben fetten und sieben mageren Kühen usw. (Genesis 41; Text der Lutherbibel 1545)

Radierung signiert: C.Meyer [1618–1689] fecit, in: Geistliche Schöpffung Und Reise deß wahren Israels auß Egypten/ durch die Wüste in das gelobte Land/ Darinnen Viele bißanhero unter Mosis-Decke gelegene Wörter und Namen der heiligen Schrift erkläret/ vnd zum geistlichen Zweck deß Christentums erbaulich gefüget werden/ […] Franckfurt am Mäyn: Christoff le Blon 1664.
> http://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/epnresolver?id=1116078791

Gedächtnis

Das Symbol dient der Erinnerung als Denkmal

Nach dem Zug durch den Jordan soll jeder der 12 Stammesväter einen Stein auf einen Haufen legen zum ewigen Gedächtnis an diese Wohltat Gottes (Josua 4,6ff.)

Biblia ectypa. Bildnußen auß Heiliger Schrifft deß Alten Testaments, Erster Theil. in welchen Alle Geschichten u: Erscheinungen deutlich und schriftmäßig zu Gottes Ehre und Andächtiger Seelen erbaulicher beschauung vorgestellet worden. ... hervorgebracht von Christoph Weigel in Regensburg: Weigel 1697.

Identitäts-Konstitution

Das Symbol dient der Repräsentation von sozialen Einheiten (Identitäts-Konstitution des Eigenen gegenüber dem Fremden)

> http://www.symbolforschung.ch/2019.html

Macht (re-)präsentieren

Im Jahre 259 u.Z. gerät Kaiser Valerian in Gefangenschaft der Perser; deren König Sapor benutzt ihn, um aufs Pferd zu steigen. Die Geste dient der Repräsentation von Macht bzw. der Demütigung des Gegners:

Kupfer von Matthäus Merian in: [Johann Ludwig Gottfried] Historische Chronica. oder Beschreibung der Fürnemsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt, biß auff das Jahr Christi 1619 zugetragen, Frankfurt/Main, M. Merians Erben, MDCLVII. Seite 360.

> http://www.symbolforschung.ch/Machtsymbolik.html

Modell für Komplexes

Das Symbol gewährt modellhaft Einsicht in die Funktionsweise eines komplexen Vorgangs anhand eines weniger komplexen.

Beispiel: Wie wirkt die Sünde? Man gerät, angelockt durch freudige Erwartung, wie ein Fisch in eine Reuse und kommt nicht mehr heraus:

No es tan facil la salida.

Emblemas morales de Don Sebastian de Couarrubias Orozco, En Madrid : Por Luis Sanchez 1610. III: Tei,l Emblem Nr. 4
> https://archive.org/details/emblemasmoralesd/399/mode/1up

Codierung von Botschaften

Das Symbol dient der Verschlüsselung von Botschaften, die nur derjenigen Person verständlich sein sollen, die den Code kennt. Das Symbol erlaubt auch das Umgehen von Zensur.

Der (legendenhafte) L. Tarquinius Superbus hat seinen Sohn Sextus Tarquinius in die von den Römern belagerte Stadt Gabii geschickt, der sich dort als Überläufer ausgibt. Dieser macht sich dort beliebt und wird von den Bürgern von Gabii zum Feldherren gewählt. Nun sucht er Rat bei seinem Vater und schickt dazu einen Boten nach Rom, die bei ihm Instruktionen einholen sollen. Der schlaue Tarquinius Superbus misstraut aber den Boten. Er geht im Garten des Palastes auf und ab, schlägt mit einem Stecken Mohnköpfe ab. Der Bote kehrt scheinbar unverrichteter Dinge nach Gabii zurück und berichtet, was er gesehen hat. Dem Sohn Sextus wird sofort klar, was sein Vater ihm mit den wortlosen Andeutungen (tacitis ambagibus) rät, und er schaltet die in Gabii herrschende Führungsschicht aus. (Livius, »Ab urbe condita« I,54)

Holzschnitt von Tobias Stimmer (1539–1584), in: Titus Livius/ Vnd Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung des Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weißheit/ Ehrbarkeit/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori vnnd Sieg/ gegen jhren Feinden: […] . Jetzund auff das newe auß dem Latein verteutscht ... Straßburg, Th. Rihel 1590.

Prognostik

Das als Symbol gedeutete Phänomen ist ein Hinweis auf ein nicht beobachtbares Phänomen. Beispiel: Kometen deuten Künftiges an.

Helffend Warnungs-Zeichen nicht, so erfolgend Strafgericht.

Teilbild aus dem Neujahrsblatt der Bürgerbibliothek Zürch 1664 von Conrad Meyer (1618–1698), der ein präziser Beobachter von Kometen war.

1652: Ein Blitz schlug in den Geissturm – in dem 400 Zentner Schiesspulver lagerten – in Zürich (die Stadtvedute auf dem Bild) ein.

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Das Symbol dient dem Schluss vom Äusseren aufs Innere, auf den Charakter des Menschen: Körperbautypen (D. von Zerssen) — Graphologie — Farbentest (Pfister-Heiss) — Physiognomie (Lavater) — »Rede, damit ich dich sehe« (Plato, Charmides 154) / »Le style c’est l’homme même« (Buffon)

Wollüstling.
Ein lang hervorstehendes, nadelartiges, oder stark krauses, wildes, rohes, auf einem braunen Flecken gewurzeltes Haar am Kinn oder am Halse, spricht sehr entscheidend für großmächtige Voluptuosität, die selten ohne großmächtigen Leichtsinn ist.

Johann Caspar Lavater, Hundert physiognomische Regeln, Zürich 1802, Tafel 87 (in den Nachgelassenen Schriften, Band 5, hg. Georg Geßner)
> https://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/structure/565189

Ästhetisches Vergnügen erzeugen

Das Symbol bereitet wegen seiner Verschlüsselung und dem gleichzeitigen Durchblickenlassen der Auflösung ästhetisches Vergnügen.

Goethe, »Mächtiges Überraschen«

Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale
    Dem Ocean sich eilig zu verbinden;
    Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
    Er wandelt unaufhaltsam fort zu Thale.

Dämonisch aber stürzt mit einem Male –
    Ihr folgten Berg und Wald in Wirbelwinden –
    Sich Oreas, Behagen dort zu finden,
    Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schale.

Die Welle sprüht, und staunt zurück und weichet,
    Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
    Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.

Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
    Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
vDes Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

Die Beschreibung eines Bergsturzes, der einen Wildbach zu einem See staut, wäre dem Naturbeobachter und Schweizerreisenden Goethe durchaus zuzutrauen; der im Text geschilderten topographischen Situation entspricht etwa der Öschinensee oberhalb Kandersteg im Kanton Bern.

Das Gedicht bleibt fast ganz in demselben Weltausschnitt, doch einige Ausdrucksformen machen einen stutzig: Warum wird der stürzende Felsblock als weibliche Bergnymphe Oreas benannt? Warum findet sie im Tal Behagen (goethezeitlich: ›Zufriedenheit, Freude‹)? Ist der Ausdruck Vater für das Meer und ein neues Leben für den Wechsel vom Fließgewässer zum Bergsee nicht etwas zu pathetisch?

Es gibt also einige Hinweise, das Geschilderte als Modell für eine andere Realität aufzufassen, welche indessen nur angetönt wird. Einen ästhetischen Reiz erhält der Text durch das allmähliche Transparentwerden...

Das mit Konnotationen versehene Symbol dient als Blickfang

weil es geheime Sehnsüchte, Wünsche evoziert ...

Der Einsatz von Mimik zwecks Kommunikation

Vgl. Charles Darwin, The Expression of the Emotions in Man and Animals, 1872.
> https://en.wikipedia.org/wiki/The_Expression_of_the_Emotions_in_.....

(Der Laden befindet sich an der Forchstrasse 193 in 8032 Zürich)