ProjektionenArbeitstag 2010: »Projektionen«
Zürich, Samstag, 18. September 2010
Zusammenfassungen der Referate (➜ zur Ideensammlung)Ursula FÜCHSLIN, Perspektivität der Gotteserkenntnis bei Nicolaus Cusanus
Raffael KELLER, Von törichten Bächen und trügerischen Felsen. Projektionen im Werk von Liu Zongyuan (773–819)
Andreas HEBESTREIT, Soziale Projektionen – Beispiele aus der frühchristlichen Symbolik
Doris LIER, »Was war es, was Erwartung gewesen war, vielleicht noch ist oder werden könnte?« Hans Blumenbergs Begriff der metaphorischen Orientierung
Sabine RICHEBÄCHER, Projektion, Identität und Wunscherfüllung
Ingrid TOMKOWIAK, Von Arminius bis Obama. Zur Konstruktion und Gebrauchsgeschichte von Nationalhelden
Beatrice VON MATT, Magie der Horizonte – Das Meer als Projektionsfläche bei Max Frisch
Viktor WEIBEL, Die Schwyzer JapanesenspieleWas haben Japanesen in Schwyz zu suchen? 1863 wurde an der Fasnacht das Spiel »Die Schweiz in Japan. Grosses japanesisch-schweizerisches Volksfest in Jeddo-Schwyz« aufgeführt. Und flux darauf gaben sich die Freunde des tollen Lebens den Namen Japanesen und nannten ihren Verein Japanesengesellschaft. Seither erscheint der Hesonusode oder Kaiser der Japanesen periodisch mit seinem Hofstaat in Yeddo-Schwyz, lässt sich feiern und schaut einem Spiel zu, das man vor ihm und für ihn aufführt. Dabei wird allerhand Politisches, Menschliches und Allzumenschliches auf die Bretter gebracht. Die Fasnacht bietet sich als Gelegenheit für Projektionen naturgemäss an. In andere Personen schlüpfen, so tun als ob, einmal sagen dürfen, wozu man im Alltag keine Gelegenheit hat oder einem der Mut fehlt – das kann man an der Fasnacht. Im Fremden oder Andersartigen das Eigene wahrnehmen, das ist ein Bereich fasnächtlichen Treibens. >>>mehr Ideensammlung (P.M.)
Bonmots ❏ »Es ist eine Gleichnisrede, die dich verführt und verwirrt hat«, sagte Eduard. »Hier wird freilich nur von Erden und Mineralien gehandelt, aber der Mensch ist ein wahrer Narziß; er bespiegelt sich überall gern selbst, er legt sich als Folie der ganzen Welt unter«. »Jawohl!« fuhr der Hauptmann fort; »so behandelt er alles, was er außer sich findet; seine Weisheit wie seine Torheit, seinen Willen wie seine Willkür leiht er den Tieren, den Pflanzen, den Elementen und den Göttern«. (Wahlverwandtschaften, 1. Theil, 4. Kapitel = Hamburger Ausgabe, 6. Band, S. 270) Projektion (= Hinausverlegung) ist ein mit der Symbolbildung verwandter, aber doch davon zu unterscheidender Prozess, der in der Psychologie, der Religionskritik, der Literaturinterpretation, der Soziologie eine Rolle spielt. Der weitere Horizont ist die Frage, wie wir Wirklichkeit konstruieren.
Inhaltsübersicht
Symbol vs. Projektion›Ein Symbol verstehen‹ und ›etwas projizieren‹ sind miteinander verkoppelte und zueinander inverse Vorgänge, vgl. folgende Tabelle:
Symbol: Das Modell hat die Funktion, etwas (aus verschiedenen Gründen: weil es den Sinnen nicht zugänglich ist; weil es durch Individuum oder Gemeinschaft nicht akzeptiert wird usw.) schwer Fassliches (wir sagen: das Explanandum, ein geistiges Konzept) anhand eines konkreten Dings (z.B. ein Tier, ein technischer Mechanismus, eine meteorologischen Erscheinung usw.) fassbar zu machen. Dabei hat das Ding in der Außenwelt unabhängig von seiner Indienstnahme als Modell ganz deutliche Züge, von denen einige dann zum Explanandum in Analogie gesetzt werden. Projektion: Das ›Ding in der Außenwelt‹ ist nur vage differenziert, im Erkenntnisprozess bekommt es Konturen dadurch, dass wir apriorische, kulturell erworbene Konzepte darauf projizieren. Graphik zum Zusammenwirken der beiden Dimensionen:
Projektion und Symbol: Das vom Projizierenden Erkannte wird von ihm – weil es ja seine ins Auge springenden Eigenschaften dessen Psyche verdankt – als bedeutungsgeladen erfahren: Es wird als Symbol wahrgenommen. Die Psychologie kann als Spezialfall der Erkenntnistheorie aufgefasst werden – kognitive Verzerrungen sind der Normalfall, sie können aber auffällig werden – : Gewisse unliebsame Elemente (unerträgliche Eigenschaften, Gedankeninhalte, Gefühle, Sehnsüchte und Wünsche des Individuums oder der Gemeinschaft, die mit gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen / für die man sich schämt / die man sich nicht zuzugeben getraut) werden auf Menschen(gruppen), Lebewesen oder auch sonstige Objekte abgebildet, ihnen zugeschrieben, in diese verlagert, so dass sie als von aussen kommend erkärt werden können und so besser bewältigt werden können. Es handelt sich um einen Abwehrmechanismus zur Bewältigung der Negativanteile der eigenen Persönlichkeit und zur Aufrechterhaltung der Stabilität der Person. Bildspender für den Vorgang ist die Laterna Magica (bzw. der moderne Dia-Projektor), wo ein Bild auf eine weiße Leinwand ›hinausgeworfen‹ und erst dort erkennbar wird, wozu die Leinwand ihrerseits nichts beiträgt. – Das dem unvoreingenommenen Betrachter als diffus Erscheinende wird vom Projizierenden als konturiert erkannt. Der Projizierende ist sich dieses Mechanismus nicht bewusst, er hält das von ihm auf der Projektionsfläche Erkannte für einen objektiven Gegenstand, sonst könnte der Vorgang ja keine selbstwertsteigernde (oder -erhaltende) Funktion haben.
Abgrenzung gegen verwandte Begriffe, insbes. AllegorieEs ist die Frage, wie eng oder weit man den Begriff der ›Projektion‹ fassen möchte. Eine enge (psychoanalytische) Definition basiert auf einem Seelen-Modell, das konfligierende Instanzen (Es, Über-Ich), aus dem Konflikt entstehende Unlust, Abwehrmechanismen zur Auferhaltung der Ich-Stärke, unbewusste Akte (den des Projizierens selbst), einen Krankheitsgewinn annimmt. Eine weite Definition (anthropologische) basiert auf einem auslösenden Moment (z.B. die Erfahrung von Leere mit etwas Konkretem füllen müssen oder wollen; vgl. Blumenbergs Ansatz, referiert von D. Lier) und einem kreativen Moment (vgl. das Referat von S. Richebächer). Die Mitte hält eine (poetologische) Definition, die ausgeht von einer kritischen Situation des Redenden, die ein kommunikatives Problem verursacht bzw. einem extremen Wunsch, der ebensowenig direkt ausdrückbar ist; die Zensur wird umgangen, indem das zu Sagende in einen anderen, unanstößigen Weltbereich transponiert wird. Das tut die Allegorie ebenfalls (griechisch allegoréo ›etwas anders ausdrücken‹). Nun sollen aber Allegorie und Projektion nicht homonym verwendet werden (Ockhams Razor!). Vielleicht kann man so differenzieren:
Die Projektion dagegen gelingt am besten, wenn die Projektionsfläche möglichst wenig differenziert ist: Kleckse, Wolken, die Mondoberfläche eignen sich vorzüglich. Soll das Deutungsangebot eine Person sein, so wählt man mit Vorteil eine wenig profilierte Gestalt aus der Vorzeit (Arminius, vgl. das Referat von I. Tomkowiak). – Das projektive Verfahren soll dem Publikum möglichst verschleiert werden (wird es im Sinne der Psychoanalyse vor dem Hervorbringer selbst!).
Erkenntnistheorie 1: Die Erscheinungen – die Welt der IdeenSOKRATES/PLATO verwendet einen Projektionsmechanismus als Modell in seinem Höhlengleichnis. Die projizierten Bilder sind Täuschungen, von deren Unechtheit der daran Gewöhnte sich kaum abbringen lässt. (»Staat« 514a-517a; Zusammenfassung von Thomas Fleischhauer; Schriften zur Symbolforschung Band 8, 1992, S. 12f.) Stellen wir uns ein grosses unterirdisches Gewölbe vor, zu dem ein langer, abschüssiger Gang hinabführt. Diese Höhle liegt so weit im Erdinnern, dass kein Sonnenstrahl bis zu ihr gelangen kann. Hier unten sitzen Menschen. Hinter ihnen – erhöht und in einiger Entfernung – brennt ein Feuer, dessen Widerschein die vor ihnen liegende Wand erhellt, das sie aber selbst nicht sehen können. Sie sind nämlich seit ihrer Geburt so gefesselt, dass sie nicht imstande sind, sich umzudrehen und das zu betrachten, was sich in ihrem Rücken abspielt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen zieht sich eine niedrige Mauer hin. Hinter der Mauer führt ein Weg entlang, auf dem Leute gehen, die Statuen von Menschen und Tieren sowie sonstige Gerätschaften tragen und miteinander reden. Die vorbeigetragenen Gegenstände ragen über die Mauer hinaus. Die Träger selbst bleiben verborgen, doch dringen ihre Stimmen bis zu den Gefangenen. Diese sehen also nur die Schatten der Dinge, die vorbeigetragen werden. Da sie nichts anderes kennen, werden sie die Schatten für wirkliche Wesen (tà ónta) halten und die Stimmen ihnen zuschreiben.
Stellen wir uns weiter vor, dass einer dieser Gefangenen von seinen Fesseln befreit und gezwungen wird, sich umzudrehen. Das Licht des Feuers wird ihn schmerzlich blenden. Er wird, nach den ihm jetzt direkt sichtbaren vorbeigetragenen Gegenständen gefragt, in seiner Bestürzung zunächst dazu neigen, ihre Schatten für wirklicher zu halten, sind sie ihm doch vertrauter. Wenn ihn dann jemand durch den langen Gang aus der Höhle hinauszieht, wird er draussen, vom Sonnenlicht geblendet, am Anfang auch nicht etwas von dem erkennen können, was ihm jetzt als Wirklichkeit vorgeführt wird. Mit der Zeit werden sich jedoch seine Augen an die Helligkeit gewöhnen, und er wird nach und nach die Schatten, die Dinge selbst, den Himmel – zunächst in der Nacht, darauf bei Tage – ansehen können. Am Ende wird er das Wesen der Sonne, die alles hervorgebracht hat, am Leben erhält und dessen Wahrnehmung erst ermöglicht, erkennen können. Jetzt wird er sich selber glücklich schätzen, die Lage seiner ehemaligen Mitgefangenen aber wird ihn dauern. Erkenntnistheorie 2:Der Homo-mensura-Satz von PROTAGORAS (ca. 481–411; Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker) Jetzt in der Variante bei Giambattista VICO (1668–1744, »Scienza Nuova«, I. Buch, 2. Abteilung). Satz 1: Der Mensch macht infolge der unbegrenzten Natur seines Geistes, wo dieser sich in Unwissenheit verliert, sich selbst zur Richtschnur des Weltalls. … Satz 2: Es ist eine andere Eigenschaft des menschlichen Geistes, dass die Menschen, wo sie sich von fernen und unbekannten Dingen keinen Begriff machen können, diese nach den ihnen bekannten und gegenwärtigen Dinge beurteilen.) Francis BACON (1561–1626) zeigt im »Novum Organum« (Aphorismen 38 bis 62) mit seiner Idola-Lehre auf, wie Projektionen den Blick verfälschen. Als idola bezeichnet er falsche Begriffe (notiones falsae), Voreingenommenheiten, die den einzelnen Menschen oder eine Gemeinschaft oder das ganze Menschengeschlecht derart mit Beschlag belegt haben, dass sie die Erkenntnis verstellen.
Unter den Ideologiekritikern der Moderne ist Ernst TOPITSCH (1919–2003) zu nennen, der Heilslehren als Projektionen auffasst, wobei er nach verschiedenen Modellen (biomorphe, soziomorphe und technomorphe) gliedert. Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien: Springer 1958; 2. Aufl. München: dtv 1972. Erkenntnistheorien, die mit dem Konzept der Projektion arbeiten, stehen in Gegensatz zu empiristischen Abbild-Theorien und stehen in der Nähe konstruktivistischer Theorien. Sie anerkennen ›kognitive Verzerrungen‹ als zur condicio humana gehörig (ja feiern sie sogar, wie in der Postmoderne). Ein eher harmloser Fall von Projektion liegt vor, wenn wir am nächtlichen Sternenhimmel – der von sich aus keine Strukturen hat (was vielleicht moderne Astronomen in Abrede stellen würden), die Waage, die Fische, den Großen Bär (bzw. Großen Wagen), den Zentaur ›erkennen‹:
Historische Soziologie›Der edle Wilde‹ (›the Noble Savage‹) ist eine Projektion der Europäer, mit der sie ein Umkehrbild ihrer eigenen korrupten Moral den kaum bekannten indigenen Völkern überstülpten. Vgl. die Forschungen zum Fremdstereotyp, zur sog. Imagologie, z.B. Urs Bitterli, Die ›Wilden‹ und die ›Zivilisierten‹. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München: Beck 1976; 3. Auflage 2004.
Ein grauenhaftes Beispiel ist der Streit um das ›Blutgericht‹ von Verden. Karl der Große soll im Jahr 782 viertausendfünfhundert aufständische Sachsen haben enthaupten lassen. In den dreißiger Jahren entspann sich ein Streit unter ideologisch bewegten Gelehrten, ob das ein historisches Faktum sei. Kaiser Karl ist Projektionsfläche für christliche wie nationalsozialistische Positionen. Aufsatz dazu von P.Michel (als PDF) hier . ReligionskritikXENOPHANES (fl. 540/37; Fragmente der Vorsokratiker) sagt: Die Äthiopien behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker, blauäugig und blond. — Wenn die Rinder und Rosse und Löwen Hände hätten und malen könnten und Bildwerke schaffen wie Menschen, so würden die Rosse die Götter rossähnliche, die Rinder rinderähnliche, und sie würden solche Statuen bilden, ihrer eigenen Körpergestalt entsprechend. Damit ist impliziert, dass die Götter anthropomorphe Projektionen sind. Auch wenn FEUERBACH das Wort nicht benutzt, ist seine Auffassung der Religion nahe bei einem Konzept von Projektion; F. nimmt an, der Mensch setze die ihn beseelenden, bestimmenden, beherrschenden Elemente, denen er keinen Widerstand entgegensetzen kann in ein andres, von ihm unterschiedenes Wesen und verehre sie darin. Andrea Klages, Religion als ›Projektion menschlicher Sinnhaftigkeit in die öde Leere des Universums‹. Die Religionskritik Feuerbachs im Kontext der Neuzeit (THEOS – Studienreihe Theologische Forschungsergebnisse, Bd. 67) Hamburg: Kovács 2005. ... und ihre Überwindung in der apophatischen TheologieDas Argument bekommt bei NIKOLAUS VON KUES (1401–1464) eine andere argumentative Pointe. Die Kritik an den anthropomorphen Gottesbildern mündet nicht ein eine Ermunterung zum Atheismus, sondern fordert auf zu einer apophatischen (d.h. Gott alle Attribute absprechende) Theologie: »De visione Dei«, Kapitel VI: De visione faciali [Ausschnitt] Der ganze lat. Text von »De visione Dei« im WWWeb — englische Übersetzung (PDF) Psychologie / psychologische Diagnostik
1846 wurde in Boston die erste Äthernarkose öffentlich vorgeführt; die Methode setzte sich schnell durch. Als Nebeneffekt entsteht beim Patienten während einer Phase des Einatmens von Äther eine perturbation profonde: les sujets tombent dans une sorte de contemplation béate qui ressemble à la fois à l’ivresse der à l’extase. Die Narkotisierten haben Halluzinationen. Auf dem Bild hat Yan’ Dargent (1824–1899) die inneren Vorgänge neben der Person, die sie erlebt, visualisiert:
Erasmus, »Lob der Torheit«, Kap. 38 erörtert verschiedene Arten von Wahn (insania). Hier die zweite Art:
In der psychoanalytischen Theorie Sigmund und Anna FREUDs gilt Projektion als eine Art des »Abwehrmechanismus«: Negative, unerträgliche Selbstanteile (Aggressionen und andere Triebimpulse) werden abgespalten und nach außen projiziert; durch eine solche Externalisierung werden innere Konflikte in der Außenwelt inszeniert, und das innerpsychische Gleichgewicht kann aufrecht erhalten werden. J. Laplanche / J.-B.Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, (frz. Original 1967), Frankfurt 1973 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 7), s.v.. Die Analytische Psychologie nach Carl Gustav JUNG versteht unter Projektion das Zuschreiben von in der eigenen Psyche angelegten Archetypen an Personen oder Objekte außerhalb des Ichs. Projektion des Schattenarchetyps, d.h. verdrängter eigener Eigenschaften, Wünsche und Taten – vor allem solcher, die mit gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen, oder für die sich der Projizierende schämt. Sogenannte ›projektive Tests‹ (am berühmtesten ist der RORSCHACH-Test) verwenden diesen Mechanismus für die psychologische Diagnostik, indem sie von dem, was die Versuchsperson / bzw. der Patient in den an sich bedeutungslosen Tintenklecks hineinprojizieren, auf dessen seelische Verfassung zurückschließen. Hermann Rorschach, Psychodiagnostik. Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdiagnostischen Experiments (Deutenlassen von Zufallsformen), Bern 1921.
Genealogie von MythenEs gibt verschiedene Gestaltungsformen unserer Wunschphantasien, Sehnsüchte und Ängste: Utopien, Zeitreisen, Schlaraffenländer, Paradiese, Apokalypsen, Höllen. »Der Mensch projiziert sein […] Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit in den Kosmos; und wenn aus entfernten Räumen der erhabene Widerhall seiner eigenen Stimme zu ihm zurückkehrt und Bestrafung der Schuldigen verheißt, dann schöpft er daraus Mut und Zuversicht.« Eric Robertson Dodds, Die Griechen und das Irrationale, (engl. 1951), Darmstadt: wbg 1970, S. 20. Das Paradies bzw. die Hölle sind in der Bibel nicht deutlich beschrieben (Paradies: Gen 2,10–14; Hölle: erst apokryph im 1. Henochbuch, Kap. 21) und können somit ausstaffiert werden für Darstellung von kulturellen Zuständen oder für die Abstrafung unliebsamer Gegner (in den sich vielleicht eigene Ängste oder Wünsche spiegeln). Adolf Doren, Wunschträume und Wunschzeiten, in: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924/25, hg. Fritz Saxl, Leipzig/Berlin: Teubner 1927, S. 158–205. — Martin Müller, Das Schlaraffenland. der Traum von Faulheit und Müßiggang, Wien: Brandstätter 1984. Die Unterwelt im 6. Gesang von Vergils Aeneis; Vergil-Ausgabe des Sebastian Brant, Straßburg, Grieniger 1502; fol CCLXVIII verso. Antonios der Große begann am Rande seines Heimatdorfes ein asketisches Leben. Um dem Zulauf der Menge zu entfliehen, verlegte er später seinen Sitz in die Libysche Wüste, in eine Nekropole. Wiederum folgte die ihn verehrende Menge nach, und er zog weiter auf einen Berg in die Einsamkeit. Im Alter von über 100 Jahren starb er (356). Sein Leben wurde von Athanasius beschrieben. Hier findet sich Kapitel 8 und Kapitel 9 die Episode vom vielgestaltigen Teufel, der ihn foppt und bedrängt. Als Folge der akedía, d.h. einer sich in der langen Einsamkeit einstellenden Mutlosigkeit, nach langen Entbehrungen, in einem lebensfeindlichen Klima, in der konturlosen Wüste erscheinen den Wüstenmönchen gelegentlich Dämonen oder gar der Leibhaftige. Von einer religionsphänomenologischen Warte aus könnte man diese Gestalten als Projektionen auffassen. Man unterstellt den Heiligen damit allerdings ein Innenleben...
Martin Schongauer (* um 1445/50 – 1491), Die Vision des hl. Antonius; Kupferstich Literaturwissenschaft / bildende KunstOlimpia in E.T.A. HOFFMANNs »Sandmann« als Projektion Nathanaels. In der Belletristik beobachtet man öfters ›Hinausverlagerungen‹ von Emotionen in Nebenfiguren oder Personifikationen (vgl. z.B. den Kampf zwischen Löwe und Drachen in HARTMANNS VON AUE »Iwein«-Roman). Das Aquatintablatt von Francisco DE GOYA (1746–1828): »El sueño de la razón produce monstruos«: Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder. Stefan Nehrkorn, 78. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft in Berlin am 16.03.99.
Alchimie als ProjektionCarl Gustav JUNG hat die Arbeitsmethoden der Alchimisten als Projektion des seelischen Vorgangs der Selbstfindung aufgefasst. Ähnlich Henri-Charles Puech die mythologischen Vorstellungen im Manichäismus (Le Manichéisme, Paris 1949). Man kann diesen Gedanken wissenschaftsgeschichtlich verlängern: Die Leistung der modernen Naturwissenschaften besteht darin, sich von anthropomorphen Projektionen auf die ›Objekte‹ befreit zu haben.
InterpassivitätEin Seitenblick auf dieses Konzept von Robert Pfaller könnte sich lohnen. Interpassivität nennt er die Praxis, eigene Handlungen und Empfindungen an äußere Objekte, d.h. Menschen oder Dinge zu delegieren. Die Theorie der Interpassivität bezieht sich hauptsächlich auf den Bereich der Lustempfindungen, weshalb Interpassivität auch als ›delegiertes Genießen‹ definiert werden kann. Vgl. den Eintrag Interpassivität in der Wikipedia.
HAMLET: Do you see yonder cloud that’s almost in shape of a camel? |