Liturgische Farben

 

Rudolf Suntrup (Münster)

Liturgische Farben im Kontext der mittelalterlichen Farbendeutung

Vortrag auf der Tagung »Farbensymbolik II« der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung« am 12. September 2009 in Zürich

 

1. Einführung

»Weiß tritt als Farbe der Reinheit und Unschuld, des Lichtes und der Freude [...] auf. [...] Rot ist die Farbe des Blutes und des Feuers [...] und [...] Sinnbild des Heiligen Geistes. [...] Die Farbe Grün steht für die Hoffnung und das Leben. [...] Die Farbe Violett steht für Übergang und Verwandlung. Es ist die Farbe der Buße und der Vorbereitung [...]. Die Farbe Schwarz gilt [...] als Symbol für Trauer und Tod. [...] Die Farbe der Vorfreude ist Rosa.«

Diese Aussagen entstammen nicht einer Liturgie-Erklärung des Mittelalters, aber man hätte sie sinngemäß dort finden können. Zitiert habe ich vielmehr aus dem aktuellen Kommentar der Deutschen Bischofskonferenz zum Römischen Messbuch. In ihm werden in einer »Allgemeinen Einführung« die liturgischen Farben behandelt, welche heute noch der Gewandung der Funktionsträger in der Liturgiefeier zu den verschiedenen Zeiten und Festen des Kirchenjahres zukommen (Deutsche Bischofskonferenz, Liturgische Farben ). Dennoch wäre es unzulässig, zwischen der Liturgie ›jetzt und damals‹ kurzschlüssige ›Bedeutungsgleichungen‹ herzustellen. Das gilt auch für die Farbgebung der Paramente, den ihnen heute zugesprochenen ›Symbolwert‹ und für deren allegorische Deutung im Mittelalter. Davon wird später zu sprechen sein.

Die Deutung der Farben gehört zu den Kernbereichen der mittelalterlichen Allegorese. Farbenallegorie ist zunächst einmal die Bedeutung der farbigen Dinge, welche die Bibel benennt und die in den lateinischen Bibelkommentaren vom frühen Christentum bis zum 13. Jahrhundert, also in einem Zeitraum von etwa 1000 Jahren, ausgelegt werden; diese bieten deren wesentliche methodische Voraussetzung und sachlich-stoffliche Grundlage. Die Allegorese bleibt im ganzen Mittelalter die maßgebliche Rezeptionsform der Bibel, dokumentiert in einer großen Fülle von Schriftkommentaren vor allem zur Genesis und zum Buch Exodus, den Psalmen, dem Hohen Lied und der Johannesapokalypse, im Hoch- und Spätmittelalter auch zur gesamten Bibel. Von hier aus strahlt sie in benachbarte Felder und andere literarische Gattungen aus, wie z.B. auf die Visionsliteratur seit dem 12. Jahrhundert (Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Mechthild von Hackeborn, Gertrud die Große u.a.) und auf die Predigt, daneben auch noch auf enzyklopädische Literatur, die Geschichtsauslegung, Naturlehren und Antikenkommentare, Minnefarben und die Heraldik.

Von besonderer Relevanz für die Rezeption der Bibelallegorese im Mittelalter sind jedoch die Liturgieerklärungen, die nach Vorstufen seit der Karolingerzeit überliefert sind. In diesen allegorischen Liturgiedeutungen nimmt die Farbe eine wichtige Rolle als Zeichenträger ein.

Mein Beitrag setzt sich zum Ziel, exemplarisch, an ausgewählten Texten des 9. bis 13. Jahrhunderts, die für die allegorische Erklärung der Liturgie maßgeblich sind, die von den Autoren dieser Zeit vorgenommene Auslegung der Farbigkeit in der Liturgie zu erläutern. Hier wiederum sind schwerpunktmäßig die Gewandfarben und Textilien Thema der Liturgiker. Die komplizierte und zum Teil in den Quellen etwas undurchsichtig dargestellte historische Entwicklung der liturgischen Gewänder kann und soll dabei im Einzelnen nicht verfolgt werden – Forschungen zur liturgischen Farbgebung von Joseph Braun, Henri Leclercq, Renate Kroos / Friedrich Kobler, Michel Pastoureau und bedeutende Handbuchartikel geben Aufschluss. Denn das Interesse der Liturgiker ist kein historisch-archäologisches, sondern ein theologisch-allegorisches: Sie verstehen die Gewänder als Zeichen, die Deutungen zugänglich und erklärungsbedürftig sind.

Meinen Ausführungen zur Deutung der liturgischen Gewänder und ihrer Farben stelle ich knappe Thesen zur Allegorie allgemein und danach im Besonderen zur Liturgieallegorese voran. Dabei kann ich auf den Lexikonband zur allegorischen Farbendeutung zurückgreifen, den ich für das künftige zweibändige »Handbuch der Farbenbedeutungen im Mittelalter« verfasst habe. Eine Arbeitsfassung des Lexikonbandes wird ab ca. Frühjahr 2010 auf CD-ROM veröffentlicht werden. (Meier/Suntrup 2010; vgl. jeweils die Literaturangaben in Kapitel 7).

2. Thesen zur Allegorie

1. Der Begriff der Allegorie ist mehrschichtig (zum Folgenden Suntrup 1997). Als Teilbereich der hermeneutisch-interpretativen Allegorie erschließt die allegorische Deutung den mehrfachen, über die wörtliche Bedeutung hinausgehenden geistigen Sinn von Worten und Dingen aus den Quellen.

2. Allegorese als Methode der Textinterpretation hat ihre sachlichen vorchristlichen Anfänge bereits in der altgriechischen und jüdisch-hellenistischen Antike. Das Neue Testament kennt die Allegorese und die ihr nah verwandte Typologie in Ansätzen. Den substantiellen Kern der christlichen Schriftallegorese stellen die überaus zahlreichen bibelexegetischen Quellen von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit dar. Diese historisch bedeutsamen und lange nachwirkenden lateinischen Schriften von den großen Kirchenvätern des frühen Christentums bis zur vollen Entfaltung der Allegorese bei den bedeutenden Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts waren in Mittel- und Westeuropa in allen Regionen verbreitet, in denen das Latein die Sprache der Kirche, der Liturgie und der Wissenschaft war.

3. Das christliche Abendland kennt für die Bibel verschiedene Konzepte der allegorischen Schrifterklärung auf zumeist drei- oder vierfach abgestuften literalen und spirituellen Sinnebenen, die ich hier nicht erläutern muss.

4. Grundlegend für die abendländische mittelalterliche Textallegorie ist die Zeichentheorie des Augustinus mit ihrer Unterscheidung der allegoria verbi von der allegoria facti, von Wort- und Dingbedeutung. Überzeugt von der Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift, in der ganzen Schöpfung und in allen Äußerungen der menschlichen Kultur und Geschichte, versteht sie die Bibel, die Weltordnung und die Heilsgeschichte als zeichenhaft und der allegorischen Interpretation bedürftig. Augustins vor allem in De doctrina christiana entwickelte Lehre von der Zeichenhaftigkeit der Wörter (voces) und Sachen (res) wird seit dem 12. Jahrhundert systematisch ausgebaut und in der Scholastik und in populärer Predigt vielfach vermittelt. Sie öffnet einer umfassenden Auslegung von Dingen den Weg; so erfährt die Liturgie nicht nur eine intensive Exegese ihrer Texte, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch eine allegorische Deutung ihrer hochkomplexen rituellen Erscheinungsformen.

5. In der christlichen Allegorese wird eine Sinnbeziehung zwischen einem Bedeutungsträger und dessen Bedeutung durch Analogie oder deutungsvermittelnde Eigenschaften hergestellt; die so ermittelten Bedeutungen werden häufig durch Bibelzitate gestützt.

6. Die Deutungen erstrecken sich auf alle Ebenen des spirituellen Sinns; sie erfolgen zumeist kontextbestimmt, z.B. in der Auslegung einer bestimmten Bibelstelle oder eines liturgischen Aktes. Dadurch ist der Bedeutungsträger in aller Regel an andere Sinnträger gebunden (z.B. an Personen und deren Zuordnung im Raum, Gegenstände und deren materielle Beschaffenheit, Ort und Zeit, zeichenhafte Gebärden und Handlungen usw.); diese bestimmen die Gesamtbedeutung erheblich mit.

7. Die Deutungen werden dadurch, dass ihr Regelsystem aus den Quellen ableitbar ist und die Auslegungen von den mittelalterlichen Autoren selbst gegeben werden, der Beliebigkeit entzogen.

3. Liturgie-Allegorese

Geistige Vorbedingung für die Liturgieallegorese ist die Bereitschaft, Riten (im weitesten Sinn) als verweisende Zeichen zu erkennen und anzuerkennen. Darin besteht der Sinn liturgischer Zeichenhaftigkeit schon vor aller Allegorese. Der Zeichencharakter der Liturgie wird z.B. durch die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanischen Konzils noch einmal bestätigt (SC = Sacrosanctum Concilium. Konstitution über die heilige Liturgie vom 4. 12. 1963: SC 7, vgl. SC 2). Allen liturgischen Erscheinungsformen kommt grundsätzlich und überzeitlich ein Zeichencharakter zu; er ergibt sich notwendig aus der dialogischen Struktur der Austauschbeziehung zwischen Gott und Mensch im Liturgievollzug. Im Mittelalter führt dieses Verständnis von Liturgie als Zeichenhandlung zu einer umfassenden geistlichen Erklärung der Gesamtliturgie, die nicht mehr deren sakramentalen Charakter betont, sondern den Heilscharakter der Liturgie herausstellt, indem sie die Zeichen (›Realsymbole‹) ihrerseits deutet. Dadurch bekommt eine Handlung, eine handelnde Person, ein in der Liturgie verwendeter Gegenstand wie z.B. auch die Farbigkeit der Gewandung einen ›Zweitsinn‹ auf verschiedenen Ebenen. Liturgieallegorese sucht zu den vielen einzelnen liturgischen Akten nach Entsprechungen im alttestamentlichen Geschehen, versteht sie als Ausdruck des Heilswirkens Gottes am Menschen, besonders in der Vergegenwärtigung des Lebens Jesu, als Anweisung zum moralischen Handeln oder als Vorverweis auf die Endzeit und das Jenseits. Eine derartige Allegorisierung der Liturgie entwickelt sich im Frankenreich in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, als die im Jahre 754 auf Veranlassung Pippins des Jüngeren eingeführte römische Liturgie, welche die heimische gallikanische Liturgie verdrängt, in ihren liturgischen Formen allmählich nicht mehr genügend verstanden wird – auf die Gründe gehe ich hier nicht näher ein.

Es war Amalar von Metz, der bedeutendste Liturgiker der Karolingerzeit, ein Schüler Alkuins, der die gesamte Liturgie allegorisch deutet: Messe und Taufritus, Klerikerstände und -weihe, die liturgischen Gewänder und Geräte, das Kirchenjahr, das Stundengebet und vieles andere. Um 835 verfasste er sein Hauptwerk, den Liber officialis (das ›Buch über den Gottesdienst‹; im Folgenden zit.: Off.). Wichtiger als die zahlreichen späteren Erwähnungen seiner Person und des Werkes ist die methodische und inhaltliche Rezeption durch spätere westlich-römische Liturgiker. Wenigstens die wichtigsten Autoren und ihre Werke sollen genannt werden: als hervorragende Repräsentanten des 9. Jahrhunderts Hrabanus Maurus (ca. 780–856), aus dem 11. Jahrhundert Bernold von Konstanz († 1100), aus dem 12. Jahrhundert Rupert von Deutz (ca. 1070–1129/30), Honorius Augustodunensis (ca. 1080–1137) und Johannes Beleth (ca. 1110–1164), aus der Zeit um die Wende zum 13. Jahrhundert Sicardus von Cremona und Innozenz III. (1160/61–1216), der in seinen sechs Büchern über das Geheimnis des Altarsakramentes (De sacro altaris mysterio) im Übergang zum 13. Jahrhundert den rituell entfalteten Gottesdienst der päpstlichen Kurie beschreibt und auslegt. Einen Höhepunkt erreicht die Liturgieallegorese dann gegen Ende des 13. Jahrhunderts mit dem Rationale divinorum officiorum des Durandus, das bis in die Neuzeit, auch unter geänderten geistesgeschichtlichen Bedingungen, Grundlage vieler Liturgieerklärungen bleibt.

4. Deutung der liturgischen Gewänder

Amalar nimmt die Deutung der liturgischen Gewänder im 2. Buch des Liber officialis vor (vgl. Off. II 15–26, hg. von Hanssens, Bd. 2, S. 236–254). Der eigentlichen Beschreibung und Auslegung der liturgischen Gewänder gehen bei ihm allgemeine Bemerkungen über den habitus sacrorum ducum, die Gewandung der Geistlichen, voraus (Off. II, 15). Allein schon durch ihre Kleidung sollen sie den Christen ein exemplum bonae conversationis, ein Beispiel guten Lebenswandels, sein und dadurch bei den Gläubigen die conversatio, Umkehr, Wende zum Besseren, bewirken. Darum ist es auch verboten, liturgische Gewänder im Alltag, in cotidiano usu, zu tragen (II 16), wie dies auch schon im Alten Testament den Priestern und Leviten verboten war (vgl. Ez 42, 13f., Ez 44, 17.19) Die Gewänder sollen aus Leinen sein (linea vestis). Spiritaliter, im geistigen Sinn, bedeutet dieser Wechsel vom alltäglichen zum liturgischen Leinen-Gewand, dass der Priester in seinem Gebet alle fleischlichen, das heißt hier: alle unreinen Gedanken vor Gott ablegen soll. Hier spielt Amalar auf die im Text gar nicht genannte, aber aus der Bibelallegorese gut bekannte Deutung des Leinens und der weißen Farbe des Leinens an, die auf das Weiß der Reinheit gedeutet wird (vgl. unten bei der Behandlung der Albe).

Abb. 1: Amikt (= Humerale)
Schweiz, Anfang 14. Jahrhundert
Köln, Schnütgen-Museum, Inv.-Nr. P 5
(Katalog Köln 1985, 1, S. 446, Nr. C 22)

Amalar beginnt mit dem Amikt (amictus), dem ersten anzulegenden Gewandteil, der als Schultertuch getragen wird; er trägt neben anderen daher auch den Namen Humerale, abgeleitet vom lateinischen Begriff humerus für die Schulter (Sachinformationen zu den Paramenten bei Braun 1924 und Braun 1907/1964; ergänzende reiche Materialien im Internet: Forschungsgruppe Kulturgeschichte und Theologie des Bildes..., s.v. Realien). Es wird über die Schulter gelegt und mit den Schnüren festgebunden. Den Halsansatz ziert eine sog. Parura (= Paratura, von parare bereiten, zurüsten), ein Besatz an der Kragenpartie, welcher den Amikt verziert. Da er den Hals, den Sitz der Stimme, schützend umgibt, deutet Amalar den Amikt als custodia vocis, den Schutz der Stimme. Typisch ist nun, dass diese Deutung durch ein Bibelzitat gestützt wird, in diesem Fall ist es Psalm 28,2: Ich sprach: Meine Wege will ich bewahren, dass ich nicht durch meine Zunge schuldig werde. So wird also die Reinheit und Züchtigung der Stimme, die castigatio vocis, angemahnt.

Andere Akzente setzt zum Beispiel in der Frühscholastik Honorius Augustodunensis, einer der bedeutenden Liturgiker des 12. Jahrhunderts. In seiner Gemma animae (I 201 im Kapitel De humerali) setzt er den Amikt mit dem alttestamentlichen Ephod gleich (Schurz des Hohepriesters; vgl. Ex 28,6 u.ö.); dadurch kann er sagen, er bedecke Kopf, Hals und Schultern; tatsächlich wurde der Amikt im Mittelalter kapuzenartig getragen. Über die Deutung der Körperteile kommt Honorius dann zu folgender Auslegung:

Das Haupt bedecken wir, wenn wir Gott in der Hoffnung auf den Himmel dienen (dum pro spe coelestium Deo servimus), den Hals, aus dem wir die Stimme hervorbringen, in der Hoffnung, unseren Mund rein zu halten (pro spe vitae custodiam ori nostro ponamus), aus dem wir nur Gottes Lob vortragen sollen, und die Schulter, wenn wir die leichte Last Gottes geduldig ertragen (si leve onus Domini patienter feramus). Damit nicht genug: Die beiden Schnüre stehen für Fides und Operatio, also den Glauben und die gute Tat, das barmherzige Wirken; sie werden auf der Brust verknotet, die eine sichtbar, die andere unsichtbar, zum Zeichen der Verbindung (copulantur) von Fides und Operatio, der Glaube im Herzen verborgen, die gute Tat allgemein sichtbar. Die Zweizahl der vor der Brust geschnürten Binden steht für die Furcht vor der Strafe und das Verlangen nach dem ewigen Leben, das Weiß des Humerale für den Glanz im Angesicht Gottes. Honorius resümiert: Haec vestis est candida, quia haec omnia – gemeint sind alle im Detail gedeuteten Aspekte des Schultertuchs – coram Domino sunt splendida (PL 172, Sp. 604D–605B).

Subtile Deutung oder spitzfindige Konstruktion? Angelus A. Häußling kommentiert dies Verfahren durchaus kritisch; mit Bezug auf die Farbgebung urteilt er: »Die von der Theologie gegebene Möglichkeit und Notwendigkeit, auch der Vielfalt der Farben mittels der Methodik der Allegorie das Gewicht symbolischer Bedeutung zu geben, wird in den Aussagen sehr frei, oft genug beliebig und polyvalent genutzt« (Hofhansl – Häußling 1983, S. 28).

Sicard von Cremona jedenfalls nimmt diese Deutung des Honorius fast wörtlich auf, ergänzt sie jedoch um andere aus ungenannten Quellen; mit einem einfachen vel (oder) schließt er weitere moralisierende Auslegungen reihend an (Mitrale II 5, PL 213, Sp. 73C–74A).

Wieder ganz anders liest sich die Deutung des Rupert von Deutz in seinem großen Werk über den Gottesdienst (De divinis officiis I 19): Der Priester nimmt in der Messe die Person Christi ein – ein wichtiger Leitgedanke (Sacerdos in officio altaris capitis sui scilicet Christi, cuius membrum est, personam gerit). Mit dem Amikt bildet er gleichsam eine Kapuze, die den Kopf bedeckt, ›umwölkt‹ (Rupert: obnubit). Mit dieser ungewöhnlichen Bezeichnung, die Rupert um der gewünschten Auslegung willen gewählt hat, lenkt er den Blick auf das Wort der Apokalypse (10,1) vom Kommen des gewaltigen Engels, der von einer Wolke umhüllt war, und auf das Wort des Propheten Jesaia (Is 9,6) in seiner Ankündigung des Gerichts über Ägypten: Seht, der Herr fährt auf einer weißen Wolke daher (… super nubem candidam – licht, weiß). So wird bei Rupert die Verhüllung des Priesters in dem gleichsam kapuzenartig getragenen weißen Amikt zum Signum Christi, dessen Gottheit sich im Fleisch verbarg (CCCM 7, S. 17).

In der Bibelallegorese ist nicht nur die zitierte Jesaja-Stelle, sondern vielmehr noch Apoc 14,14 relevant: Die Vision vom Menschensohn auf der weißen Wolke und mit einem goldenen Kranz auf dem Haupt ist dort Ausdruck der Unvergänglichkeit und ewigen Herrlichkeit Christi, auch ein häufig angewendetes Bild für die Inkarnation, wobei die Reinheit der Empfängnis ›ohne den Makel der Sünde‹ und die daraus resultierende völlige Sündenlosigkeit Christi betont wird (Nachweise: CD-ROM des Lexikonbands Meier/Suntrup 2010, s.v. candidus zu Apoc 14,14, S. 289 u.ö.). Derartige Deutungen aus der Bibelexegese sind Rupert offenbar bekannt, so dass er sich ihrer für die Deutung des Amikts sinngemäß bedienen kann.

Innozenz III. nimmt die Gedanken Ruperts fast wörtlich auf und erweitert die christologische Deutung noch (De sacro altaris mysterio I 35, PL 217, Sp. 787 CD).

Dies alles wird dann zusammengeführt bei Durandus, der in seinem umfassenden und lange nachwirkenden Rationale divinorum officiorum ein eigenes Buch über die Gewänder der Priester, der Bischöfe/des Papstes und anderer ministri, über den gesamten Klerus in Diensten der päpstlichen Kurie schreibt und ein längeres Kapitel (drei Druckseiten in der Edition) dem Gebrauch, der Trage- und Anlegeweise und der allegorischen Deutung des Amikts widmet (Rationale III 2,1–2, CCCM 140, S. 184–186).

Kehren wir vom ausgehenden 13. Jahrhundert noch einmal zurück in die Karolingerzeit, zu Amalar von Metz, dem wir in seiner Beschreibung und Auslegung der verschiedenen liturgischen Gewänder zunächst weiter folgen wollen.

Die Albe (Off. II 18) ist das liturgische Untergewand aus Leinen, und zwar für alle liturgischen Dienste. Sie war im Westen stets weiß (erhält daher ihren Namen), hat sich aus der Tunika, dem antiken Untergewand, entwickelt und wird von einem Gürtel, dem Zingulum, zusammengehalten. Sie wurde geschmückt durch Stickerei, aufgesetzte Borten und Zierstücke (Paruren) an Hals, Schultern, Ärmelenden, Ansatz der Giren sowie vorn und hinten oberhalb des unteren Saumes.

Abb. 2:
Albe
Schweiz, Anfang 14. Jahrhundert
Köln, Schnütgen-Museum, Inv. Nr. P 4
(Katalog Köln 1985, 1, S. 449, Nr. C 23)

  

Abb. 3:
Albe, Detailabbildungen,
Schweiz, Anfang 14. Jahrhundert
Köln, Schnütgen-Museum, Inv. Nr. P 4
(Detailabbildungen von C 23, Katalog Köln 1985, 1, S. 447)

Bei der Erklärung der Albe beginnt Amalar mit einem Zitat aus einem Brief des Hieronymus, in dem er die Albe mit den antiken Leinenhemden der Soldaten vergleicht; diese lägen so eng am Körper an und hätten so enge Ärmel, dass sie zum Laufen, für den Kampf, beim Schleudern der Speere, Halten der Schilde, Ziehen des Schwertes usw. nicht hinderlich seien. Den Dienst der Soldaten (militantes) überträgt er nun er auf den Gottesdienst der Priester; sie sind die sacerdotes parati in ministerio Dei (Priester, bereit zum Dienst für Gott). Ihre Albe ist aber im Unterschied zum Leinenhemd der Soldaten weit geschnitten; diese Weite, welche eine größere Freiheit in der Bewegung ermöglicht, zeigt die Freiheit der ›Söhne Gottes‹ an, die nicht den ›Geist der Knechtschaft‹, sondern die Freiheit erhalten haben, zu der Christus ›uns‹ erlöst hat (propter libertatem, qua Christus nos liberavit). So wie der Amikt die castigatio vocis, die Reinheit der Stimme, bewahre, so die Albe die castigatio corporis, die Zucht des Körpers. Hier wird wieder die Leinenqualität in die Deutung einbezogen; die mühsame Gewinnung des weißen Leinens aus der Byssuspflanze lenkt die Deutung, ohne dass Amalar dies explizit ausführte.

Den Herstellungsprozess des Byssus beschreibt zuerst Beda Venerabilis (z.B. CCL 119A, 45) genau, von dem Amalar seine Sachkenntnis und den Deutungskontext übernimmt. In einem langwierigen, mühevollen Arbeitsprozess wird der Byssus getrocknet, geschlagen, gereinigt und gedörrt, damit er seine natürliche grasgrüne Farbe verliert, ein reines Weiß annimmt und dann gesponnen werden kann. Dutzendfach wird diese Beschreibung in den Quellen referiert. Candor als Proprietät des Byssus bezeichnet als Farbqualität  zugleich dessen Reinheit (Belege seit Augustinus: Meier/Suntrup 2010, S. 248).

Honorius Augustodunensis geht noch viel weiter, indem er ausgehend von der Beschreibung des Gewandes mit Kopfdurchlass, Bindevorrichtung, Verengung und Weite, Binden und Lösen eine hochkomplexe Auslegung anschließt; Leitgedanke sind auch hier die Reinheit und die engelgleiche Heiligkeit, die von der weißen Signalfarbe der Albe zeichenhaft ausgeht: Per hanc (sc. albam) castitas designatur, qui tota vita sacerdotis decoratur ... Haec vestis albedine candet, quia sanctitas coram Deo inter Angelos splendet (Gemma animae I 202, PL 172, Sp. 605 BC).

In der Bibelexegese wird Byssus, die Farbe des natürlich Reinen, in Fülle gedeutet auf moralische Reinheit, Unversehrtheit, Enthaltsamkeit, Mäßigung, Unschuld, Tugendhaftigkeit der Kirche, ihrer Stände oder des einzelnen Christen; der Prozess der mühsamen Gewinnung wird zum Zeichen der Züchtigung des Leibes und der Abtötung des Fleisches durch verschiedenste Exerzitien, dies besonders in der tropologischen Allegorese der alttestamentlichen Priestergewänder mit ihrer Vorbildfunktion für die Kirche (Übersicht über die Auslegungen im Artikel byssinus: Meier/Suntrup 2010, S. 249; vgl. Art. Lineus, linum, ebd. S. 493).

Die Kasel ist das priesterliche Hauptgewand (casula bei Amalar, sonst durchaus üblich im Mittelalter auch planeta genannt), genauer gesagt, etwa seit dem 12. Jahrhundert ausschließlich das Messgewand der Priester, während sie zuvor auch von anderen Klerikern und bei anderen kirchlichen Verrichtungen getragen wurde.

Abb. 4:
Annokasel
Purpurseide Byzanz, um 1000
Kölner Bortenstäbe, 15. Jahrhundert
Köln, Schnütgen-Museum, Inv. Nr. P 1
(Katalog Köln 1985, 1, S. 448, Nr. C 27)

Abb. 5:
Heribertkasel
Seide; Byzanz (?), um 1000
Köln-Deutz, Neu St. Heribert
(Katalog Köln 1985, 1, S. 450, Nr. C 26)

Abb. 6:
Kasel des hl. Bernhard
Byzanz oder Vorderasien, 11./A. 12. Jh.
Brauweiler, St. Nikolaus
(Katalog Köln 1985, 1, S. 452, Nr. C 28)

Amalar (Off. II 19) bezeichnet die Kasel noch als das übliche Gewand der Liturgen (generale indumentum sacrorum ducum). Da sie generell allen Priestern zukomme, sollten mit ihr jene Werke angezeigt werden, die allen zukämen: Hunger, Durst, Wachen, Nacktheit, Lesen, Psalmengesang, Gebet, Werken, Studieren der doctrina, Schweigen und weiteres derartige. Dies ist etwas abgekürzt formuliert; es können natürlich nicht Hunger und Durst und Nacktheit gemeint sein, sondern die Werke der Barmherzigkeit, die diesen Misständen abhelfen. Die Casula bezeichnet Amalar als eine casula duplex; damit ist wohl ihre Innen- und Außenseite gemeint. Hier kommt die Bedeutung der durch die Kasel bedeckten Körperteile und die Zweizahl ins Spiel: die Schultern bedeuten die Werke (opera), das sie bedeckende ›doppelte Gewand‹ (duplex vestimentum) steht dann für die Werke, die nach außen den Nächsten erwiesen werden und die im Inneren vor Gott vollständig erhalten werden sollen; das Tragen des doppelten Gewandes auf der Brust verweist auf die Wahrheit (veritas interius) und die den Menschen zu vermittelnde Lehre (doctrina ad homines). Der Priester verrichtet seinen Dienst gut, wenn er alles in seiner Person vereint, so wie auch die beiden Seiten des Gewandes untereinander verbunden sind. – Honorius (Gemma animae I 207), um nur noch dieses Beispiel zu geben, legt die Kasel anders aus: Weil die Kasel über allen übrigen Gewändern getragen wird, soll durch sie die alle anderen Tugenden übersteigende Gottes- und Nächstenliebe angezeigt werden. Casula heißt aber auch ›kleines Haus‹ (parva casa), denn wie vom Haus der Mensch überdacht wird, so umfasst die caritas die Gesamtheit der Tugenden.Vgl. die Bilder von weiteren Kaseln:

Abb. 7:
Glockenkasel, sog. „Mantel Kaiser Ottos des Großen“
Gewand aus rotem Seidensamt, Byzanz (?), 10.-12.Jh.
Merseburg, Domstift, Gewänderinventar Nr. 1
(Katalog Merseburg 2004, S. 195, Nr. IV 1)

Abb. 8:
Kasel
Aus rotem Brokatsamt mit Kreuz in Reliefstickerei aus der Amtszeit des Merseburger Bischofs Thilo von Trotha (1466-1514)
Gewebe aus Florenz 2.H. 15. Jh., Kreuz Mitteldeutschland (?)
Merseburg, Domstift, Gew.inv. Nr. 2
(Katalog Merseburg 2004, S. 198, Nr. IV 2)

Die Stola empfängt der Diakon vom Bischof bei seiner Weihe; er trägt sie als Schärpe von der linken Schulter nach rechts. Sie soll ihn nach Amalars Verständnis (Off. II 20) an das ›leichte und süße Joch‹ erinnern, das Gott ihm auferlegt hat, das ›Joch des Evangeliums‹. Sie reicht bis zum Knie (das man demütig beugt), daran Christus in Erinnerung rufend, der demütig und sanftmütig von Herzen war (Mt 6,29) und so zu leben lehrte.

Abb. 9:
Stola
Schweiz, Anf. 14. Jh.
Köln, Schnütgen-Museum, Inv.-Nr. P 3
zu Albe und Amikt gehörig
(Katalog Köln 1985, 1, S. 447, Nr. C 24)

Die Stola wurde nicht nur vom Diakon, sondern auch von anderen Geistlichen (Priestern und Bischöfen) getragen (Vgl. Forschungsgruppe Kulturgeschichte und Theologie..., s.v. Stola; Braun 1924, S. 134–143; Braun 1907/1964, S. 562-601).

Sehr ausführlich nimmt Amalar sodann die Beschreibung und Deutung der Dalmatik vor (Off. II 21), die zunächst den Päpsten und römischen Diakonen zukam, dann aber seit dem 9. Jahrhundert im Abendland das liturgische Obergewand der Bischöfe und Diakone (um die geht es hier) geworden ist. Bei Amalar wird die Farbendeutung relevant: Zwei scharlachrote Zierstreifen (clavi) auf der weißen Dalmatik weist die Vorder- und die Rückseite des Gewandes auf, als Zeichen der Gottes- und der Nächstenliebe, in denen das Alte und das Neue Testament ›rot erstrahlen‹ (rutilant), bzw. für die Werke der Barmherzigkeit im Geist der caritas; Weiß steht wieder für die Reinheit. Weiße Fransen (fimbriae) am Ende und an der Seite werden ebenfalls über ihre Farbe oder ihre Anzahl gedeutet; dabei geht Amalar nicht von einer bestimmten Dalmatik aus, die er vor Augen hat, sondern beschreibt und deutet unterschiedliche Typen oder Modelle mit unterschiedlichen lineae vel fimbriae. Auf die Farbendeutung soll gleich noch genauer eingegangen werden.

Das Pallium, Insigne des Papstes sowie der Erzbischöfe, das seit der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts auch an Bischöfe verliehen wurde, ist nach der Beschreibung Amalars (Off. II 23) wie eine Kette um den Hals gelegt. Erzbischöfe werden mit diesem sie auszeichnenden Ornat, das ringförmig über dem Messgewand getragen wird, immer wieder dargestellt.

    

Abb. 10:
Elfenbeintafel mit der Darstellung des Introitus der Messe (links)
Wahrscheinlich aus Saint-Amand, um 875
Cambridge, Fitzwilliam-Museum, Inv. Nr. M.12-1904
Darstellung des Sanctus der Messe (rechts)
Wahrscheinlich St. Amand, um 875
Frankfurt am Main, SuUB, Ms. Barth. 181, Leihgabe im Liebieghaus
(Katalog Köln 1985, 1, S. 388f., Nr. C 1 und C 2)

Pallium significat torquem, quam solebant legitime certantes accipere (Off. II 23). – ›Das Pallium bezeichnet die Halskette, welche die rechtmäßig Kämpfenden gewöhnlich empfingen.‹ Diese zunächst ziemlich kryptische klingende Formulierung geht auf Beda Venerabilis zurück, der an den ›altüberlieferten Brauch‹ erinnert, dass die legitime certantes eine Krone auf dem Kopf und eine Kette um den Hals trugen. Sie sind also Zeichen der legitimen Amts- und Machtausübung, und dass dieses Amtzeichen um den Hals und über die Schultern gelegt sei, wird dann wieder über die bezeichneten Körperteile (Schulter als Sitz der Körperkraft, Hals, aus dem die Stimme erschallt) zum Zeichen des perfekten Wirkens (fulgor perfectae operationis) und der vollkommenen Verkündigung. (Bei Innozenz III., der alle Elemente des Palliums deutet, bezeichnet die weiße Farbe die Güte des Bischofs: in candore benignitas designatur, PL 217, Sp. 797AB; ebenso Durandus, Rationale III 17,3, fol. 79v.)

Selbst der Manipel, ein streifenförmiges Zierstück am linken Vorderarm beim Messornat des höheren Altardienstes, den Amalarius und spätere Liturgiker Sudarium, Schweißtuch, nennen, erfährt eine ausführliche Deutung (Off. II 24).

Abb. 11:
Manipel
Schweiz, Anfang 14. Jh.
Köln, Schnütgen-Museum, Inv.-Nr. P 7
rote Oberseite (Reste roter Seide waren vor der Restaurierung erhalten), gelbes Innenfutter
(Katalog Köln 1985, 1, S. 447, Nr. C 25)

Der Manipel wird vom Priester vorn am linken Arm getragen, weil er dazu dient, den Schweiß (sudor) oder den Schmutz der Nase oder Augen oder Speichel aufzunehmen (alles wird genau bei Amalar beschrieben). Allerdings hat er in der Liturgiefeier sicher nicht diese praktische Funktion, sondern er ist ein Amtabzeichen. Da das Sudarium also der Reinigung dient (oder besser: diente, weil es ursprünglich die Funktion eines Taschen- oder Schweißtuches hatte), bietet es sich geradezu an, dies im spirituellen Sinn auszulegen. Es mahnt zur Reinigung der Gedanken, d.h. zur Reinhaltung von den geradezu dem Menschen angeborenen Freuden (delectationes als Schmutz!). Es wird links getragen, auf der linken Seite, die Zeichen des Irdischen, der irdischen Zeit, des gering Einzuschätzenden ist; dadurch wird der Ekel vor den fleischlichen Vergnügungen angezeigt (tedium carnalis delectationis), auch der Ekel, der bei dem aufkommt, der sich seiner Sünden bewusst wird. In dieser Tendenz wird die Auslegung weitergeführt; dass es als Rangzeichen der höheren Klerikerstände (ab Subdiakon) gilt, war Amalar noch nicht bekannt; als solches diente es wohl erst seit dem 11. Jahrhundert, im Zuge der Vereinfachung der liturgischen Gewänder nach dem II. Vaticanum ist es nicht mehr vorgeschrieben.

Amalar schließt dann mit einer erneuten Deutung der Sandalen, die je nachdem, wer sie trägt (Bischof, Priester, Diakon, Subdiakon) unterschiedlich gestaltet sind. Bis in ihre kleinsten Elemente (Sohle und Ausgestaltung des offenen Schuhwerks, Zunge, schwarze Farbe, weißes Futter) wird alles detailgenau allegorisch gedeutet. Eine Recapitulatio (II 26) fasst alles noch einmal stichwortartig zusammen.

 

Damit sind nur die Deutungen im Wesentlichen eines einzigen Liturgikers in ihren Grundlinien referiert, keinesfalls in allen subtilen Ausformungen, allerdings die des für Jahrhunderte des Allegorisierens maßgeblichen Autors. Manches wurde noch ausgespart, etwa die Deutung des weißen Taufgewandes, die Alben der Taufbewerber, die Amalar an anderer Stelle abhandelt. Eine Detailanalyse des gesamten Liber officialis brächte zutage, dass derartige Deutungen sich nicht auf die wenigen Kapitel beschränken, in denen Amalar die Gewänder systematisch abhandelt, sondern dass diese Deutungen in der Liturgie immer wieder auftauchen und die Auslegung der Handlungen während der Messe, der Tauffeier und anderer Liturgieakte mitbestimmen.

Es wäre nun lohnend, den Blick zu weiten, um zu sehen, wie weitere Liturgiker vorgehen, etwa, wie Honorius Augustodunensis die bischöflichen Gewänder deutet. Wenn er über die septem vestes des Bischofs handelt, wird klar, dass er mit dem vestes nicht im strikten Sinne nur ›Gewänder‹ meint, sondern auch Amtsinsignien des Bischofs: seine allegorische Erklärung gilt nämlich den Pontifikalschuhen, der Dalmatik, dem Rationale (das durch den ebenfalls so genannten Brustschild des Hohepriesters präfiguriert ist), der Mitra, den Handschuhen, dem Bischofsring und dem Bischofsstab. Auch weitere der genannten Liturgiker (Rupert, Sicard, Innozenz III.) behandeln die Gewänder systematisch; Durandus widmet ihnen sogar ein ganzes Buch. Hier wurde nur an ausgewählten Beispielen ein Einblick in die Praxis der Allegorese der liturgischen Gewänder gegeben; im Folgenden soll diese Systematik verlassen werden, um in besonderer Weise die Deutungen unter dem für die Thematik der Farbensymbolik leitenden Aspekt anzusprechen.

5. Deutung der liturgischen Farben

Aktuelle kirchenamtliche Dokumente halten daran fest, dass die liturgischen Farben »den besonderen Charakter der jeweils gefeierten Glaubensgeheimnisse und den Weg des christlichen Lebens im Verlauf des liturgischen Jahres verdeutlichen« (Deutsches Liturgisches Institut, Allgemeine Einführung in das Messbuch [1975], Nr. 307). Diese Funktion hatten sie immer schon: Sie bieten Orientierung im Kirchenjahr.

Die Farbigkeit der liturgischen Gewänder der lateinischen Kirche wird in der Exegese und Liturgieallegorese mit den Farben der alttestamentlichen Kultkleidung in einen typologischen Zusammenhang von aaronitischem und christlichem Priestertum gestellt. In den Exodusberichten wird wiederholt eine Vierergruppe farbiger Stoffe für das Heiligtum und für die Priestergewänder erwähnt. So stellt Innozenz III. der Deutung der kirchlichen liturgischen Gewänder in mehreren Kapiteln des ersten Buches seiner Liturgieerklärung historische, allegorische und tropologische Erörterungen über die legalia indumenta voran. Gemeint sind damit die vier leinenweißen, scharlachroten, purpur- und hyazinthfarbenen Priestergewänder sowie die farbige Amtstracht des pontifex, also des Hohepriesters (De sacro altaris mysterio I 11–13, PL 217, Sp. 781C–783C).

Der Abschnitt über die Gruppe der vier kostbaren Farben purpura, coccus, byssus, hyacinthus (I 32, PL 217, Sp. 786B–D) zeigt, wie die Farben selbst, die zunächst als Proprietäten signifikanter Dinge fungieren, als Qualitäten zu eigenen Sinnträgern werden, die durch die ihnen zukommenden Proprietäten gedeutet werden – ein Phänomen, das Christel Meier (1974) als »Qualitätenallegorese« beschrieben hat: Der Königspurpur zeigt nicht nur die regia dignitas des Hohepriesters an, sondern auch seine Verpflichtung, den Königsweg, die via regia als Mittelweg, einzuhalten, d.h. die Binde- und Lösegewalt gewissenhaft auszuüben. Das feuerfarbene Scharlachrot kommt der wie Feuer leuchtenden und verbrennenden, d.h. der verheißungsvollen, aber auch nicht von Drohungen absehenden Lehre zu. Die strahlend weiße Byssusfarbe verweist auf den besonders guten Ruf, das lichte, der Farbe der Luft gleichende Blau der Hyazinthfarbe zeigt das reine Gewissen des Hohepriesters an.

Da Innozenz (und nach ihm ebenso Durandus) von dem pontifex des Alten Testamentes überleitet zu ›unserem‹ Pontifex (PL 217, Sp. 782C), macht er klar, dass die durch die Farben markierten Tugenden und Ansprüche an das Amt gleichermaßen den in persona Christi handelnden Leitern der Kirche, Papst und Bischöfen, zukommen.

Obwohl also die Liturgiker in den für den alttestamentlichen Kult vorgeschriebenen Gewandfarben die liturgischen Hauptfarben präfiguriert sehen, haben diese nicht hier ihre historischen Wurzeln, vielmehr entwickelt sich die liturgische Kleidung aus der antiken bürgerlichen Festkleidung. Für die Farbigkeit der Gewänder gibt es eine plausible Erklärung: »Da der Hauptfarbstoff für kostbare Textilien in der Antike das Sekret der Purpurschnecke war, das je nach Beimischung zu unterschiedlichen Tönungen führte, finden sich entsprechende Abstufungen von Violett, Grün und Rot zu Purpur und Schwarz« (Deutsche Bischofskonferenz, Liturgische Farben).

Ansätze zu einer für bestimmte Festzeiten gültigen Farbenregel gibt es erst in den gallikanischen Messerklärungen und dann seit der Karolingerzeit. Aus den Ordines lässt sich kein klares Bild über die Praxis des früheren Mittelalters gewinnen; das ändert sich erst mit Innozenz III., der den bestehenden, aber sicher nicht von ihm geschaffenen Farbenkanon der römischen Kirche kodifiziert und auslegt (De sacro altaris mysterio I 65; PL 217, Sp. 799–802).

Um 1200 waren in Rom als liturgische Farben gebräuchlich: die Farben Weiß, Rot, Schwarz (Neben- oder Ersatzfarbe Violett / violaceus) und Grün (Nebenfarbe safrangelb / croceus). Innozenz beschreibt aber auch von der Praxis Roms abweichende Farbregeln. Außerhalb Roms begegnen z.B. auch Blau, Braun, Aschengrau (color cinericius) oder ein als color varius bezeichnetes Farbengemisch (vgl. Forschungsgruppe Kulturgeschichte und Theologie des Bildes..., s.v. Farben, liturgische). Innerhalb einer Diözese, sogar innerhalb einer Gemeinde war der Einsatz der liturgischen Farben durchaus uneinheitlich. Für die Jahrhunderte bis zur frühen Neuzeit ist daher von einer bunten Vielfalt liturgischer Farben auszugehen, so dass Joseph Braun, der große Liturgiewissenschaftler und Kunsthistoriker des frühen 20. Jahrhunderts (1857–1947), nicht ganz zu Unrecht von einem »Wirrwarr« sprach. Auch die Rubriken des Missale Romanum von 1570 ändern daran grundsätzlich nicht viel, weil lokal gültige Traditionen fortbestehen dürfen. Erst im 19. Jahrhundert werden die Farbenregeln nach römischem Ritus stärker normiert.

 

Aber nicht die historische Entwicklung des liturgischen Farbenkanons soll genauer beleuchtet werden, sondern die allegorische Deutung der liturgischen Farben im Mittelalter. Gedeutet werden in den maßgeblichen Quellen des 9. bis 13. Jahrhunderts:

  • zum einen der wechselnde Farbengebrauch zu bestimmten Zeiten des Kirchenjahres und in der Feier der Heiligenfeste, also die für die Paramente, das heißt für die liturgischen Gewänder und Tücher, vorgeschriebenen Farben entsprechend dem Charakter des Gottesdienstes oder des Tages: für Kasel, Stola, Manipel; Kelchvelum, Burse, Antependien und Altartücher;
  • zum zweiten die stets gleich bleibende bestimmte Farbigkeit einzelner liturgischer Gewänder, Ornatstücke, Gewandteile, gelegentlich ihrer unterschiedlich gefärbten Innen- und Außenseite, oder Amtsinsignien: bezogen auf die Albe, die Tunizella des Diakons, die Dalmatik mit ihren zwei farbigen Streifen, den Amikt bzw. das Humerale, das Pallium mit seinen farbigen Verzierungen (Kreuzen) und metallenen Schließen, den Schmuck des Papstmantels, die Tiara, die Mitra und den Bischofsring; die zum Bischofsornat gehörigen Handschuhe, die Schuhe mit ihrem Lederfutteral und der Farbe der Sohlen und der Strümpfe; die Farbigkeit der Krümme des Abts- bzw. Bischofsstabes und seiner Verzierungen; die Farbe des eucharistischen Brotes bzw. der Hostien, des Messweins, der Patene, der Pyxis (also des Hostenbehälters) und des Leinenkorporale; das Taufkleid mit andersfarbigen eingewebten Fäden, die Taufmütze, die Ordenstracht.
  • darüber hinaus gelegentlich weitere Elemente wie grüne Borte oder goldene Streifen am Fastentuch, Farbigkeit der Kirchenfenster und von Kreuzen oder die goldene Rose, die am Sonntag Laetare getragen wird.

Ich beschränke mich auf einige Beispiele zur Deutung der wichtigsten Farben.

Für das Weiß gehe ich exemplarisch auf das Taufkleid ein. In albis kamen die Neugetauften während der Osterzeit zu den Gottesdiensten. Das weiße Taufgewand ist das natürliche Zeichen des Reinen, allegorisch dann der in der Taufe empfangenen geistig-moralischen Reinheit und Sündenvergebung. Ambrosius sagt: Du hast ... die weißen Gewänder empfangen; das soll dir ein Zeichen sein, dass du die Hülle der Sünder (involucrum peccatorum) abgelegt und die reinen Gewänder der Unschuld angelegt hast (CSEL 73, 102f.). Der Getaufte ist aber nicht nur nach dem Gesetz rein (vgl. Ps 50,9), sondern auch nach dem Evangelium, denn er trägt das weiße Gewand des auferstandenen und des verklärten Christus.

Abb. 12:
Auferstehung
Meister Leonhard von Brixen, 1472
Brixen, Dom, Kreuzgang
(nach Postkarte; Foto: Dorothea Bachler, ars liturgica Kunstverlag Maria Laach, Nr. 5579)

Abb. 13:
Verklärung auf dem Berg Tabor
Reichenau, um 990
Aachen, Domschatz
(Ernst Günther Grimme, Das Evangeliar Kaiser Ottos III. im Domschatz zu Aachen, Freiburg i. Br. u.a. 1984, S. 35)

Das Weiß ist das Zeichen der Taufgnade, die Auferstehung und ewiges Leben verheißt (so bei Ambrosius und Rabanus Maurus). Nach Hieronymus und Isidor von Sevilla deckt es als ganz weißes Gewand Christi die Hässlichkeit früherer Sünde zu. Augustinus sieht in einer Osterpredigt im Weiß der Gewänder ein äußeres Zeichen der in der Taufe erlangten Reinheit des Geistes von Sünden (splendor mentium); in den leuchtend weißen Gewändern wird das in der Taufe keimhaft empfangene neue Leben sichtbar. Dazu ist das Weiß die Farbe der Freude, der Engel, der Auferstehung, auf die auch der Tauftermin an Ostern und das achttägige Tagen des Gewandes verweist (hier verbindet sich die Farben- mit der Zahlendeutung; die Acht als Zahl der Auferstehung): der Täufling, so sagt Alkuin, trägt sein Gewand wegen der Freude über die Wiedergeburt, der Reinheit des Lebens und des Schmuckes des Glanzes der Enge (induitur vestimentis propter gaudium regenerationis et castitatem vitae et angelici splendoris decorem, MGH Epp. IV, 202, vgl. 214f.). In Amalars Erklärung der Taufliturgie ist das weiße Taufkleid Zeichen der Verheißung ewigen Lebens als Lohn einer reinen Lebensführung (premium ... vitae immaculatae, Off. II, 153). Im genannten Sinn verstehen auch zahlreiche andere Exegeten und Liturgen das Weiß des Taufgewandes. Die umfassendste Deutung gibt wieder Durandus im sechsten Buch des Rationale in seiner komplexen Beschreibung und Deutung der Taufriten (VI 83, 15–19; VI 86,16).

Im Kanon der liturgischen Farben bei Innozenz III. ist das Rot – mit der einen Ausnahme des pfingstlichen Rots – im Festkreis immer die Farbe der Apostel oder Märtyrer.

Abb. 14:
Der hl. Andreas
Das Stundenbuch von Johann ohne Furcht, Herzog von Burgund
Flandern, wahrscheinlich Gent, 1406-1415
Paris BN, ms. Nouv. Acq. 3055, fol. 172
(John Harthan, Stundenbücher und ihre Eigentümer, Freiburg i. Br. 1977, S. 98)

Das Rot der liturgischen Kleidung oder in der textilen Ausstattung des Altars und der Kirche ist hingegen nicht auf die Bedeutung ›Martyrium‹ festgelegt, sondern auch Ausdruck der caritas. Gedeutet werden z.B., vorzugsweise bei Sicard von Cremona oder Durandus, Pontifikalgewänder oder Elemente von ihnen: rot gefärbte Streifen oder Bänder an der Mitra, ein roter Mantel, welchen der Papst bei seiner Weihe empfängt, purpurroter Mantelbesatz, rote Sandalen und Strümpfe des Papstes

Abb. 15:
Pontifikalien: weiße Handschuhe, rote Schuhe
Weiheformeln für liturgische Gewänder und Geräte mit Darstellungen
Pontifikale
Konstanz, Petrus Lüchter, 1489, fol. 7v
Ehem. Slg. Ludwig
(Anton von Euw und Joachim M. Plotzek, Die Handschriften der Sammlung Ludwig, Bd. 1, Köln 1979, S. 299)

oder Pontifikalhandschuhe:

Abb. 16:
Pontifikalhandschuhe
Spanien (?), 16. Jh.
Seide, rot und grün, Goldfäden
Dresden, Rüstkammer, Inv. Nr. I 98/1
(Katalog Merseburg 2004, S. 213, Nr. IV 9)

Die Märtyrerfarbe, die der Blutfarbe gleicht, erinnert zugleich an das blutige Leiden Christi am Kreuz. Dieses Passionsrot begegnet mehrfach.

Abb. 17:
Christus im passionsroten Gewand mit priesterlicher Stola
Kreuzigung, Uta-Evangelistar, Regensburg um 1020
München, BSB, Clm 13601, fol. 3v
(Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters. Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Museen der Stadt Regensburg [Katalogredaktion Florentine Mütherich und Karl Dachs], München 1987, Tafel 10 = Kat.-Nr. 17)

Abb. 18:
Der hl. Erhard im roten Messgewand
Uta-Evangelistar, fol. 4r
(Regensburger Buchmalerei, wie Abb. 17, Tafel 11)

Abb. 19:
Die fünf Bitten an Gott mit Gregoriusmesse und Dornenkrönung
Stundenbuch Köln und wahrscheinlich Gent, um 1500, fol. 104v-105r
Ehemals Slg. Ludwig
(Anton von Euw und Joachim M. Plotzek, Die Handschriften der Sammlung Ludwig, Bd. 2, Köln 1982, S. 251)

Auch ein roter Faden oder Saum am Taufmützchen, purpurrote Streifen auf der Dalmatik, das mit vier purpurroten Kreuzen gezierte Pallium des Erzbischofs können diese Bedeutung erhalten. Pallium, Streifen der Dalmatik, Papstmantel, Schuhwerk können aber auch auf die Liebe (dilectio, caritas) verweisen.

Die schwarze Farbe von Gewändern, eingewebten Kreuzen, eingefärbtem Schuhwerk, Ordenskleidern und Paramenten ist bei den Liturgikern Zeichen der Buße, Demut, Selbstverleugnung und des Sündenbewusstseins, im liturgischen Kalender auch Zeichen der Trauer und des Totengedächtnisses;

Abb. 20:
Totenmesse
Stundenbuch, Brügge und Gent, um 1450-1460, fol. 131v
Ehemals Slg. Ludwig
(Anton von Euw und Joachim M. Plotzek, wie Abb. 19, S. 135)  

daneben ist das Schwarz Bußfarbe wie seine Nebenfarbe Violett. Für das Grün (Nebenfarbe: Gelb / croceus) geben die Texte kaum Erklärungen, vereinzelt sprechen sie vom Grün des Glaubens. Das Blau bzw. die hyazinthblaue Farbe verweist durch ihre Ähnlichkeit mit dem natürlichen Blau des Himmels oder der Luft auch im übertragenen Sinn auf den Himmel bzw. das Streben nach der himmlischen Heimat; Schuhwerk und Kleidung der Liturgen vom Subdiakon bis zum Papst werden aufgrund ihrer Farbe gelegentlich entsprechend gedeutet. Auch das Aschgrau als Büßerfarbe kommt vor, erstmals bei Honorius.

6. Ergebnisse

Ziehen wir eine kurze Bilanz:

  • Liturgische Farben bekommen in den abendländischen Liturgiedeutungen des 9. bis 13. Jahrhunderts von Amalar von Metz bis zu Durandus einen allegorischen Zweitsinn. Die Autoren gehen von der augustinischen Vorannahme aus, dass nicht nur Worte, sondern auch Dinge Zeichencharakter haben. Die Liturgie und in ihr die liturgischen Gewänder sind zeichenhaftig und dadurch deutungsfähig.
  • Die Deutungen ›funktionieren‹ nach den aus der Bibelallegorese bekannten Mechanismen und greifen in ihrer Gedankenführung auf Autoren zurück, die aus der Bibelallegorese bekannt und für diese wichtig sind: Hieronymus, Gregor der Große, Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis u.a.
  • Die Deutungen der Liturgie und in ihr der liturgischen Gewänder beziehen sich auf verschiedene Ebenen des geistigen Sinns, werden sehr häufig durch Bibelzitate legitimiert und erfolgen kontextbestimmt: Die Auslegung des Gewandes ist an die Person des Trägers gebunden, und sie wird häufig über bestimmte Elemente, wie Farbe, Stoffqualität, Schnitt, Vorder- und Rückseite, Verzierungen, Trageform u.a. gefunden. Soweit sie von den Autoren nicht systematisch (in Kapiteln De vestibus etc.) behandelt, sondern im Liturgievollzug beschrieben und gedeutet wird, wird die liturgische Handlung für die Deutung der Gewänder mitbestimmend, z.B. das Anlegen der Messgewänder, die Überreichung der Albe, das Tragen / Nichttragen zu bestimmten Zeiten im Kirchenjahr.
  • Für die Gewandfarben wird aus dem potentiell großen Farbspektrum für den Bereich der Liturgie eine eng begrenzte Zahl von Farben deutungswirksam. Klar dominieren Weiß und Rot, daneben noch Schwarz und Violett; Grün spielt nur eine marginale Rolle, desgleichen Grau und Blau, das bei Innozenz III. und Durandus nicht erwähnt wird, jedoch durch die typologische Rückbeziehung auf die Hyazinthfarbe der alttestamentlichen Priesterkleidung signifikant wird.
  • Die Inhalte und Methoden der liturgischen Farbendeutung sind der Auslegung der biblischen Farben entlehnt. Die Deutungen z.B. der weißen Farbe in der Liturgie als Zeichen der Reinheit Christi und der Inkarnation, der moralischen Reinheit, der Auferstehung, des ewigen Lebens und der Unsterblichkeit sind wesentliche Bestandteile der Deutung der in der Bibel genannten Farben albus, candidus, byssinus und anderer, die allerdings noch ein viel größeres Bedeutungsspektrum umfassen. Hier wählen die Liturgiker in einer bestimmten Deutungsabsicht aus. Das Weiß liturgischer Gewänder, um bei diesem Beispiel zu bleiben, ist ohne Rückgriff auf die entsprechende Auslegung der weißen Gewänder des verklärten Jesus (Mt 17,2 u.ö.), der Gewandung Jesu vor Herodes (Lc 23,11), der Gewänder der Engel am Grab Jesu und ohne die häufigen Bezeugungen des Weiß in der Apokalypse oder auch des Geliebten der Braut in der Auslegung des Hohen Liedes (Cant 5,10) nicht zu denken.

In mancherlei Hinsicht kann hier ein Bogen zur Gegenwart geschlagen werden, auch zum Ausgangspunkt meines Beitrags, in dem der ›Symbolwert‹ der Farben zitiert wurde – die allegorische Deutung von liturgischen Zeichen und ihrer Farbigkeit lebt in Elementen der Liturgie bis heute fort.


7. Literatur

Hinweis: Nur die wichtigsten Quellenzitate und -referate wurden mit einem Stellennachweis versehen. Grundsätzlich wird verwiesen auf die CD-ROM der Arbeitsfassung des Lexikonbandes (Meier/Suntrup 2010), der die vollständigen Nachweise bietet.

Abkürzungen von Quellenreihen:

CCCM = Corpus Christianorum, Continuatio Mediaeualis, Turnhout 1971ff.

CCL = Corpus Christianorum, Series Latina, Turnhout 1953ff.

CSEL = Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866ff.

MGH Epp.= Monumenta Germaniae historica, Epistulae

PL = Patrologiae cursus completus, Series Latina, hg. von JACQUES-PAUL MIGNE, Paris 1844ff.

7.1. Quellen:

Liturgiker des 9. bis 13. Jahrhundert und ihre Werke (mit Stellenangaben zur Deutung der liturgischen Gewänder, sofern sie systematisch erfolgt)

Hrabanus Maurus (ca. 780–856)

Amalarius von Metz (ca. 775–850/853), Liber officialis, hg. von J. M. Hanssens (Studi e Testi 138–140), Città del Vaticano 1948–1950; Buch II (in Bd. 2)

Bernold von Konstanz († 1100)

Rupert von Deutz (ca. 1070–1129/30), De divinis officiis, I 18–27, CCCM 7, S. 17–23. – Rupert von Deutz, Der Gottesdienst der Kirche; lateinisch/deutsch, übers. von H. und I. Deutz, 4 Bde. (Fontes Christiani 33/1–4), Freiburg/Br.: Herder 1999

Honorius Augustodunensis (ca. 1080–1137), Gemma animae I, 198–242, PL 172, Sp. 604A – 616B

Johannes Beleth (ca. 1110–1164)

Sicardus von Cremona (um 1200), Mitrale II 5–8, PL 213, Sp. 72B – 90C

Innozenz III. (1160/61–1216), De sacro altaris mysterio I 10–65, PL 217, Sp. 780C–802C). – Papst Innocenz des Dritten sechs Bücher von den Geheimnissen der heiligen Messe, übers. durch Friedrich Hurter, Schaffhausen 1845. – Innozenz’ III. sechs Bücher von der Messe; aus dem lateinischen von Pfr. Wilh. Römer, Schaffhausen 1898.

Durandus von Mende (ca. 1230–1296), Rationale divinorum officiorum (das gesamte dritte Buch, CCCM 140, S. 177–239)

7.2. Forschungsliteratur (chronologisch)

Joseph Braun, Die liturgische Gewandung im Occident und Orient nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Freiburg i. Br. 1907, Nachdruck Darmstadt 1964.

Joseph Braun, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung, 2 Bde., München 1924.

Christel Meier, Das Problem der Qualitätenallegorese, in: Frühmittelalterliche Studien 8 (1974), S. 385–435.

Ernst Hofhansl – Angelus A. Häußling, ›Farben, Farbensymbolik‹, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 11, Berlin – New York 1983, S. 25–30.


Katalog Köln: Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle, hg. von Anton Legner. 3 Bde. Köln 1985. Band 1, Abt. C: Liturgica, S. 385–483.


Christel Meier – Rudolf Suntrup, Zum Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Einführung zu Gegenstand und Methoden sowie Probeartikel aus dem Farbenbereich ›Rot‹, in: Frühmittelalterliche Studien 21 (1987), S. 390–478.


Rudolf Suntrup, [Artikelteil] ›Farbensymbolik‹, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München – Zürich 1989, Sp. 289–291.


Rudolf Suntrup, ›Allegorese‹, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. von Klaus Weimar – Harald Fricke – Klaus Grubmüller – Jan-Dirk Müller, Bd. 1, Berlin – New York 1997, S. 36–40.


Katalog Merseburg: Zwischen Kathedrale und Welt. 1000 Jahre Domkapitel Merseburg. Katalog hg. von Karin Heise, Holger Kunde und Helge Wittmann, Gesamtredaktion Uwe John, Petersberg 2004 (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatsstifts Zeitz 1).


Christel Meier – Rudolf Suntrup, Handbuch der Farbenbedeutung im Mittelalter. 2 Bde. mit CD-ROM. Band 1: Historische und systematische Grundzüge der Farbendeutung. Band 2: Lexikon der allegorischen Farbendeutung. In Vorbereitung. – Der Datenbestand des Lexikonbandes (Arbeitsfassung) steht auf CD-ROM ab Frühjahr 2010 zur Verfügung.

7.3. Internet

Deutsche Bischofskonferenz, Liturgische Farben (Aufruf: 10. 11. 2009)

Deutsches Liturgisches Institut – Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch, IV. Die liturgische Kleidung, Nr. 297–310 (Aufruf: 10. 11. 2009)


Forschungsgruppe Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum (mit zahlreichen Links zu den Paramenten: Aufruf 10. 11. 2009)

 

 



Zur Homepage des Autors