Tiere in der Bibelexegese

 

Grundsätzlich:

Frage das Vieh, und es wird dich lehren, die Vögel des Himmels, und sie werden es dir kundtun, … und die Fische des Meeres werden es dir erzählen; wer wüsste nicht, dass die Hand des Herrn all dies geschaffen hat. (Hiob 12, 7–9)

 




Die Auslegung kann grundsätzlich typologisch geschehen oder allegorisch. Zur Erläuterung der Begriffe <hier>

 


Beispiele für allegorische Auslegung:

Augustinus (354–430) , »de doctrina christiana« II,xvi,24: die Schlange

Rerum autem ignorantia facit obscuras figuratas locutiones, cum ignoramus vel animantium vel lapidum vel herbarum naturas aliarumve rerum, quae plerumque in Scripturis similitudinis alicuius gratia ponuntur. Nam et de serpente quod notum est, totum corpus eum pro capite obicere ferientibus, quantum illustrat sensum illum, quod Dominus iubet astutos nos esse sicut serpentes (Mt 10, 16), ut scilicet pro capite nostro, quod est Christus, corpus potius persequentibus offeramus, ne fides christiana tamquam necetur in nobis si parcentes corpori negemus Deum! Vel illud, quod per cavernae angustias coartatus, deposita veteri tunica vires novas accipere dicitur, quantum concinit ad imitandam ipsam serpentis astutiam exuendumque veterem hominem, sicut Apostolus dicit, ut induamur novo (Eph 4, 22-24; Col 3, 9-10); et exuendum per angustias, dicente Domino: Intrate per angustam portam! (Mt 7, 13) Ut ergo notitia naturae serpentis illustrat multas similitudines quas de hoc animante Scriptura dare consuevit, sic ignorantia nonnullorum animalium, quae non minus per similitudines commemorat, impedit plurimum intellectorem. Sic lapidum, sic herbarum, vel quaeque tenentur radicibus.

Mangel an Sachkenntnis aber macht bildliche Ausdrücke dunkel, wenn wir die Natur und Beschaffenheit der Tiere, Pflanzen oder anderer Dinge nicht kennen, die so häufig gleichnisweise in der Schrift aufgeführt werden. So ist es z. B. eine bekannte Tatsache, daß die Schlange jemandem, der nach ihr schlägt, gleich ihren ganzen Leib und nicht bloß ihr Haupt entgegenwirft: Was ist doch das für ein anschauliches Bild für das, was uns der Herr befiehlt, wenn er sagt, wir sollten klug sein wie die Schlangen? Auch wir sollen nämlich für unser Haupt, d. h. für Christus, den Verfolgern lieber den Leib anbieten, damit nicht der christliche Glaube (als das Haupt) in uns ertötet werde, wenn wir aus Schonung für den Leib Gott verleugnen. Man sagt auch, die Schlange zwinge sich in enge Höhlenritzen ein und streife so ihr altes Kleid ab und gewinne dadurch wieder neue Kraft: wie stimmt dies nicht zur Nachahmung dieser Schlangenklugheit, nämlich zum Ausziehen des alten und zum Anziehen des neuen Menschen, wie der Apostel sagt, und zwar zum Ausziehen vermittels der Engen (der Trübsal); sagt ja doch der Herr: "Geht ein durch die enge Pforte!" Wie nun die Kenntnis der Schlangennatur viele Gleichnisse beleuchtet, welche die Heilige Schrift von diesem Tier zu gebrauchen pflegt, so behindert die Unwissenheit bezüglich einiger Tiere, die ebenso gleichnisweise erwähnt sind, den Forscher im höchsten Grade, Dies gilt von Steinen, von den Kräutern und von allem, was immer fest im Boden wurzelt.

(Pseudo-)Hugo von Sankt Viktor, »De bestiis et aliis rebus« (nach 1141)

De bestiis et aliis rebus, PL 177, 15–164

Petrus Berchorius († 1362), »Reductorium morale«

Das Kapitel über den Frosch <hier als PDF>

 


Beispiele für typologische Auslegung:

 

Jonas wird vom Walfisch lebendig wieder ausgespien (Jonas 2,11) — typologische Vorausdeutung von Christi Auferstehung (Matthäus 12,38–42: Wie Jona im Bauche des Fisches war, drei Tage und drei Nächte, so wird der Menschensohn im Herzen der Erde sein, drei Tage und drei Nächte.) Quelle: Elisabeth Soltész, Biblia Pauperum. Die vierzigblättrige Armenbibel in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom, Berlin (DDR) 1967 (Ausschnitt, auf der linken, hier nicht interessierende typologische Szene: Samson trägt die Türflügel von Gaza, Richter 16,2–3.

Konrad von Würzburg, »Goldene Schmiede« Vers 1616ff.:

Ein visch genant ist cete,
der sunder alle mâsen
in sich verslant Jonasen:
bi dem ist uns bezeichenheit
von Jesu Cristo für geleit,
wand er verslicket wart alsam.
in slant daz ertrich unde nam
mit libe und ouch mit herzen,
so daz deheinen smerzen
die gotheit davon nie gewan.
alsam der groze visch den man
dri tage in sinem libe dans,
[dinsen = gewaltsam tragen]
daz in verserte nie sin grans:
[Rüssel, Maul]
sich frouwe
[Maria ist angesprochen], also beleip din kint
zwo nahte an allez underbint
in dem ertrich und gesunt…


Beispiel für eine allegorische Deutung in der Emblematik

(Was ist Emblematik? ✚ Hier zu erfahren.)

König Nebukadnezar hat einen Traum: Er sieht einen hohen Baum und in seinem Schatten finden sich die Tier des Feldes, und in seinen Zweigen wohnen Vögel, und von ihm nährt sich alles Lebende. Ein Engel, der vom Himmel herab kommt, haut den Baum um. Daniel legt den Traum aus: Der Baum bedeutet den König, dessen Herrschaft zu Ende geht. (Buch Daniel, Kap. 4).

Was die Tiere bedeuten, sagt Daniel nicht, dies wird aber in der Exegese verdeutlicht. Der lutherische Pfarrer Daniel Cramer († 1637), ein versierter Bibel-Exeget, deutet die Tiere als die der Obrigkeit ›Untergebenen‹, die unter dem Baum Schutz finden:

Daniel Cramer, Octoginta emblemata moralia nova Francofurtum: Jennis 1630.
> https://archive.org/details/octogintaemblema00cra

 


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