Tiere in der alten Medizin, im Aberglauben, in der Alchimie …

 

Plinius (›der Ältere‹; gest. 79 u.Z.) behandelt in den Büchern 28 bis 30 seiner »Naturkunde« die von Tieren stammenden Arzneimittel. Zwei Beispiele:

XXVIII,lxx,234 Schweinemist gegen Verrenkungen; Wolfsfett gegen Verhärtungen; Kuhtalg gegen Furunkel:
luxatis recens fimum aprunum vel suillum, item vitulinum, verris spuma recens cum aceto, fimum caprinum cum melle, bubula caro inposita; ad tumores fimum suillum sub testo calefactum tritumque cum oleo. duritias corporum omnes mollit optime adips e lupis inlitus. in iis, quae rumpere opus sit, plurimum proficit fimum bubulum in cinere calefactum aut caprinum in vino vel aceto decoctum; in furunculis sebum bubulum cum sale aut, si dolores sint, cum oleo liquefactum sine sale, simili modo caprinum.

XXX,li,145 Nachteuleneier oder Schwalbenschnabelasche in Wein gegen Trunksucht:

Ebriosis ova noctuae per triduum data in vino taedium eius adducunt. ebrietatem arcet pecudum assus pulmo praesumptus. hirundinis rostri cinis cum murra tritus et vino, quod bibetur, inspersus securos praestabit a temulentia. invenit Orus Assyriorum rex.

Naturalis historia, 38 Bücher: zweisprachige Ausgabe hg. Roderich König und Gerhard Winkler, Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler (Tusculum).

Hildegard von Bingen (1098–1179), Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum / Teil 1: Physica

Liber Septimus , 1: DE ELEPHANTE […] qui in pulmone dolet, ita quod dumphet et hustet, idem os ad solem calefaciat, et pulverem de eo schabe et in vinum ponat, et in patella coquat, et deinde per pannum colet, et sic pulverem istum adjiciat, et vinum illud saepe bibat, et curabitur. Cor autem elephantis et jecor et pulmo et caetera quae in eo sunt, ad medicamenta non valent. (Text nach PL 197,1313)

Wer in der Lunge Schmerzen hat, so dass er schweratmend ist und hustet, der wärme diesen Knochen [der an der Stirn des Elefanten ist – os quod in fronte elephantis est] an der Sonne, und er schabe ein Pulver davon und schütte es in Wein, und er koche es in einer Schüssel, dann seihe er es durch ein Tuch und füge diese Pulver bei, und er trinke jenen Wein oft, so wird er geheilt werden. Aber das Herz und die Leber und die Lunge und das übrigen, das in ihm ist, taugt nicht zu Heilmitteln.

Ausgabe von von Reiner Hildebrandt  Thomas Gloning, Berlin: Walter de Gruyter 2010; Übersetzung: Hildegard von Bingen, Heilkraft der Natur = Physica. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Erste vollständige, wortgetreue und textkritische Übersetzung … übers. von Marie-Louise Portmann, Augsburg: Pattloch 1997; S. 448f.

Conrad Gessner  (1516–1565) bringt bei fast jedem Tier eine Rubrik Arzneimittel, die das Tier liefert (vgl. hier).

Ein Beispiel: Zum Podagram: Nimm drey Fledermeüß/ vnnd koch die in rägenwasser/ darnach tuo dise stuck dazuo: zermalten lynsamen vier vntz/ drey rauwe eyer/ ein bächerlin öl/ rinderkaat vnnd wachß eins jeden vier vntz: Diß alles zesamen gethon/ rüer vnder einanderen/ vnd so du gen schlaaffen gon wilt/ so leg es etwa dick über/ als Galenus leert. (Vogelbuch [!], fol. LIIIIr)

Gelegentlich beruhen die Rezepte auf ›Sympathie‹, so z.B. wenn Pfauenfedern gegen Augenleiden empfohlen werden: Konrad Gessner schreibt vom Pfau: Das männlin hat einen langen gefäderten schwantz/ welcher fäderen ein yede zuo end einen runden circkel hatt/ von vilen farben geziert/ wie ein groß aug … – Dazu das Rezept: Rauch von Pfawenfäderen in die augen gelassen/ ist den roten oder trieffenden augen dienstlich. (Vogelbuch; fol. CLXXXIXr)

Weil der Hase mit seinen langen Hinterbeinen schnell laufen kann, dienen sie wohl als hier Rezept: Von dem Hasen. Seine füß bestrichen mit seim eigen Schmaltz/ […] bewegen den Menschen zu künheit/ also daß er den todt nit förcht/ vnnd so der das an den lincken Arm henckt/ so gehet er wohin er will/ unnd kompt sicher wider ohn schaden.  Albertus Magnus, Daraus man alle Heimligkeit deß Weiblichen geschlechts erkennen kan / deßgleichen von ihrer Geburt / sampt mancherley artzney d. Kreuter / auch von tugendt d. edlen Gestein u. d. Thier / mit sampt einem bewehrten Regiment für das böse ding. Franckfurt am Mayn 1581.

Meist ist keine inhaltliche oder ›symbolische‹ Beziehung zwischen dem Tier und der daraus gewonnenen Medizin und der damit zu behandelnden Krankheit zu erkennen, wie z.B. hier:

Für das Bettbruntzen. Wer den Harn nicht behalten kan, und des Nachts unter sich bruntzet, der nehme Geißdreck oder Ziegenbonen, und brenn sie zu Pulver; und wann du zu Nacht wilt schlaffen gehen, so thu des Pulvers in einen Becher mit frischem Wasser, und trincke davon so viel als du magst; das thu ein Nacht oder drey, es vergehet dir.  Jacob Bierenauer, Nutzbares Kunst-Büchlein, So wieder von neuem übersehen worden, [o.O.], 1729.

 

Michael Herr (vor 1515 – nach 1550), Gründtlicher vnderricht, warhaffte vnd eygentliche beschreibung, wunderbarlicher seltzamer art, natur, krafft vnd eygenschafft aller vierfüssigen thier, wild vnd zam, so auff vnd in der erden oder wassern wonen; Auch deren so vnder die würm gezält werden, sampt jrer ... gantz artlicher Contrafactur vnd leblicher abmalung ... mitt höchstem fleiß zusamen getragen, vnd auffs kürtzest in Teütsche sprach verfasset, durch ... Michael Herr, der artzney Doctor ..., Straßburg: Beck 1546.

http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN784953139

Neuhochdt. Übers. mit Einleitung unde Erläuterungen von Gerhard E. Sollbach, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1994.

 

Adam Lonitzer (1528–1586) bringt in seinem Kräuterbuch auch eine Abteilung über Tiere und ihre Wirkung als Heilmittel:

Naturalis historiae opus novum (1551/55 ) – Kreuterbuch (1557) und viele Neuauflagen, vgl. die im Wikipedia-Artikel genannten Digitalisate.

Beispiel aus der Auflage von 1578

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00086989/image_639

 

Christoph von Hellwig (1663–1721)

Neu angelegter curiöser, und zur edlen Medicin kurtz-verfaster Thier-Garten, oder Beschreibung der Thiere, Eigenschaften, wie auch Artzeneyen, so wohl von geflügelten, vierfüßigen, Wasser- und krichenden, zahmen, u. wilden Thieren, wie selbige zu des Menschen Gesundheit mit grossen Nutzen können bereitet werden : Nebst einem Anhang, von lebendigen und todten Menschen, und derer Medicamenten, so von selbigen kommen, mit einem vollständigen auf die Menschlichen Kranckheiten gerichteten Register / Ausgefertiget von L. Christoph. Hellwig, P. L. Cæs. p. t. Phys. zu Tänstädt. Franckfvrt vnd Leipzig zufinden bey Michael Käysern, Buchhändl. 1703.

Gut erschlossenes Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/titleinfo/3142591

Christoph von Hellwig, Das in der Medicin gebräuchlichste Regnum animale oder Thier-Reich. Frankfurt/Leipzig: Niedt 1716.

Gut erschlossenes Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/id/1882509

 

 

 


Literaturhinweise:

Meinolf Schumacher, Ärzte mit der Zunge. Leckende Hunde in der europäischen Literatur, Bielefeld 2003.

Ernst Gattiker und Luise Gattiker, Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Ländern von der Antike bis heute, Wiesbaden: Aula-Verlag 1989.  [vorzüglich!]

 


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