Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld

 

Rudolf Suntrup:

Naturallegorie im Dienste der Heilsgeschichte. Die »Concordantiae caritatis« des Ulrich von Lilienfeld

Vortrag vom 19. Sept. 2015 an der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung zum Thema »Verschleierte Botschaften – Gestalten und Leistungen der Allegorie«

 

 

Einführung

In den bald nach 1351 entstandenen »Concordantiae caritatis« (CC) des Zisterziensers Ulrich von Lilienfeld liegt ein hervorragendes Zeugnis spätmittelalterlicher klösterlicher Kultur und Frömmigkeit vor.

Ich werde Ihnen nach wenigen Worten zum Autor die Concordantiae kurz allgemein erläutern und zu zeigen versuchen, wie das allbekannte Modell typologischen Textverständnisses in diesem Werk mit seiner untrennbaren Text-Bild-Beziehung strukturell erweitert wird, und zwar durch konsequente Einbeziehung naturallegorischer Elemente in die Auslegung. Dazu gehe ich in einem ganz kurzen Überblick auf frühere und verwandte typologische Zyklen ein, stelle dann im Vergleich die Besonderheit des Codex heraus, setze einen Akzent auf die im Thema angesprochene Naturallegorie, sage etwas zu den Quellen und frage abschließend: Für wen ist das alles verfasst worden?

Zum Autor Ulrich von Lilienfeld

Über den Autor geben die Quellen nur unvollständig Auskunft. Ulrich wurde vor 1308 in Klosterneuburg bei Wien oder in Wien als Sohn eines aus Nürnberg eingewanderten Kaufmanns geboren und lebte als Zisterziensermönch im niederösterreichischen Stift Lilienfeld, dem er von 1345-1351 als Abt vorstand. Danach gab er sein Amt auf und schuf als einfacher Mönch den umfangreichen Zyklus der CC. Ob er im Amt resignierte, um dieses Opus bewältigen zu können, ist nicht belegt. Ebenfalls kann sein genaues Todesdatum nicht ermittelt werden: Er starb an einem 20. April, vermutlich in der Amtszeit seines Nachfolgers Gerlach (bis 1358).

Der Lilienfelder Codex 151 ist das unter Aufsicht des Autors entstandene ›Urexemplar‹  der CC. Martin Roland, ein besonders guter Kenner der Handschrift, hat in jüngster Zeit (Roland 2013 und Roland 2015) nach genauem Schriftvergleich dieses Ergebnis noch einmal präzisiert: Er ermittelt außer Ulrich selbst noch sieben weitere Schreiber; Autograph Ulrichs sind die ersten 22 Blätter (fol. 2r – 22r, die Paraphrase des Speculum humanae salvationis (fol. 155v – 156v), dann  weitere einzelne Textseiten (fol. 196r und 245r) sowie der gesamte Anhang (fol. 249v – 263r); hinzu kommen noch weitere Beschriftungen. Roland geht davon aus, dass Ulrich anhand eines eigenen Werkmanuskripts mit vielen Notizen und Korrekturen ein ›repräsentatives Autorenexemplar‹ schaffen lassen wollte, an dem er selbst leitend beteiligt war und dass auch den Reichtum des Klosters nach außen hin dokumentieren sollte.

40 Abschriften von Teilen des Textes, des gesamten Textes oder des gesamten Werkes mit Texten und Bildern sind bekannt, keine Handschrift ist vollständig. 7 Handschriften sind bebildert. Besonders bedeutende Abschriften befinden sich in Budapest (Zentralbibliothek des Piaristenordens, cod. CX 2, vom Jahr 1413, im Wiener Schottenstift angefertigt) und in New York (Pierpont Morgan Library, M 1045;  drittes Viertel des 15. Jahrhunderts; ebenfalls aus Wien).

Der Titel »Concordantiae caritatis«

Leitender Gedanke für die Titelgebung dürfte für Ulrich die in Text und Bild umgesetzte typologische Beziehung zwischen christlichem Antitypus sowie dessen Präfigurationen im Alten Testament und in Phänomenen der Natur gewesen sein, die sich im Werk besonders einprägsam zeigt; Ulrichs im Werktitel benannte Absicht, die in der Heilsgeschichte und in der Natur geoffenbarte ›Übereinstimmung des liebenden Wirkens‹ Christi darzustellen, klingt zumindest indirekt im Prolog (fol. 2r) an, wenn die ›Konkordanz‹ der Themen (qualiter ewangelio concordent singula) auf einer aufgeschlagenen Doppelseite der CC vorgestellt wird. Die »Concordantiae caritatis« stellen unter den hoch- und spätmittelalterlichen typologischen Zyklen einen markanten Schluss- und Höhepunkt dar.

Der Begriff ›Typologie‹

Aus dem Hoch- und Spätmittelalter sind zahlreiche Handschriften überliefert, die in ihrer Konzeption von Textelementen und Bildstrukturen der Denkform der Typologie verpflichtet sind: Diese beruht auf der im Mittelalter ausgestalteten Auffassung vom universalen Heilswirken Gottes in der Geschichte, nach der sich die vorchristliche Zeit in Christus und der ihm mystisch verbundenen Kirche gesteigert erfüllt. Alttestamentliche Personen, Ereignisse und Einrichtungen oder signifikante Beispiele aus der Naturgeschichte stehen zum Neuen Testament und dem in ihm bezeugten Heilsgeschehen in einem Verhältnis von Vorbild und erfülltem Gegenbild, von Typus und Antitypus.

Beispiel: Synagoge und Ecclesia vom Südportal des Straßburger Münsters

Das ursprünglich strikt innerbiblisch verwendete Deutungsmuster wird über die Denkfigur vom ›corpus Christi mysticum‹ erweitert, welche die Kirche geistig mit ihrem Haupt Christus vereint sieht – so auch in den CC, in denen der Antitypus nicht nur Christus ist, sondern Szenen aus der Apostelgeschichte und der Apokalypse mit einbezieht. Präfigurierend, in typologischer Funktion, kann der große Bereich der Naturallegorese verwendet werden, wie es für weite Teile der CC prägend ist.

Typologische Zyklen

Ein gut bekanntes, frühes Beispiel für angewandte Typologie in mittelalterlichen Text-Bild-Zyklen bietet der »Dialogus de laudibus sanctae crucis« (clm 14159), eines der wichtigsten Zeugnisse der Regensburger Buchmalerei, neuartig und ohne direkte Nachfolge im Text und in seiner bildkünstlerischen Darstellung.

Dialogus de laudibus sanctae crucis Clm 14159 (Bayrische Staatsbibliothek) > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00018415/image_5

Dieser lateinische »Dialog über das Lob des heiligen Kreuzes« ist etwa auf 1170–1175 datierbar und damit der älteste bekannte typologische Zyklus auf deutschem Boden.

Wenig später schafft Nikolaus von Verdun den Klosterneuburger Altar mit einem ersten großartigen Text-Bild-Programm in klarer Zuordnung von Vorbildern aus der Zeit vor dem mosaischen Gesetz (ante legem) und unter dem Gesetz (sub lege) zum Antitypus in der Zeit der Gnade (sub gratia).

Klosterneuburger Altar; Hinweis: > https://de.wikipedia.org/wiki/Verduner_Altar

Es ist anzunehmen, dass Ulrich diesen bedeutenden Altar gekannt hat, da bezeugt ist, dass seine Eltern 1308 in Klosterneuburg lebten. Die Gründe für die Intensivierung der Typologie in dieser Zeit sind vielfältig. Sicher zählt dazu ein strukturelles Bemühen: »der Drang zur systematischen und umfassenden Synthese«, das im Hochmittelalter sich entwickelnde Streben, die gesamte erfahrbare Wirklichkeit, die Geschichte und das stark zunehmende enzyklopädische Einzelwissen zu systematisieren und in einen »theozentrischen Mikrokosmos« (Gerhard Schmidt 1959) einzubinden.

In diesem Kontext haben die nun neu entstehenden figural-typologischen Zyklen auch die Funktion der Erkenntnis des Wirkens Gottes in der Geschichte.

Ein frühes schriftliterarisches Zeugnis dieser Entwicklung bietet der »Pictor in Carmine« eines um 1200 wirkenden englischen Zisterziensers mit einem Prolog, einer typologischen Tabula als Inhaltsübersicht und mit erklärenden 138 Kapiteln mit 1780 Verspaaren (älteste und vollständigste Hs. Cambrigde, Corpus Christi College, Ms. 300, hg. von Karl-August Wirth, Berlin 2006). Auf seiner Grundlage entsteht in Österreich eine umgestaltete, gestraffte Version mit 68 Gruppen, die »Rota in medio rotae« aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Ausformung der Typologie zu großen typologischen Text-Bild-Zyklen erreicht in der seit etwa 1220 bezeugten, auch in Prachthandschriften des 13. Jahrhunderts überlieferten »Bible moralisée«, …

  

Bible Moralisée, Cod. Vind. 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek. Vgl. das Faksimile mit Kommentar von Reiner Haussherr, Übers. der franz. Bibeltexte von Hans-Walter Stork, Graz: ADVA 1992.

dann im 14./15. Jahrhundert mit den ältesten erhaltenen Handschriften der – wohl um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen – »Biblia Pauperum«

Biblia Pauperum  Clp 871 (Universitätsbibliothek Heidelberg), fol. 13v: Kreuztragung
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_871/0035 — Vgl. Christoph Wetzel / Heike Drechsler, Biblia Pauperum. Die Bilderhs. des Codex Palatinus Latinus 871, Stuttgart / Zürich: Belser 1995.

 

Biblia Pauperum. Die vierzigblättrige Armenbibel in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom, Faksimile mit erläuterndem Text von Elisabeth Soltész, Berlin (DDR) 1967.

... und der reichen Überlieferung des »Speculum humanae salvationis« beeindruckende Höhepunkte:


Speculum humanae salvationis, Hs 2505 der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, fol. 26 verso und 27 recto.> http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2505

 

Speculum humanae salvationis, Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Hs. 241 (Bild aus https://de.wikipedia.org/wiki/Heilsspiegel, überarbeitet)

Den markanten Schluss dieser groß angelegten Zyklen bilden Ulrichs CC.

Inhalt, Gliederung

Inhaltlich ist die Schrift in ihrem Kern eine Predigtsammlung, die in drei Hauptteile gegliedert ist

(1) nach dem Zyklus des Kirchenjahres (Proprium Missarum de Tempore),

(2) den besonderen Messen an ausgewählten Heiligenfesten  (Proprium de Sanctis) und

(3) den gemeinsamen Heiligenmessen (Commune Sanctorum).

Der an den Prolog (fol. 2r) anschließende erste Teil (De tempore), in Cod. 151 fol. 2v–155r mit ursprünglich 156 Bild- und zugehörigen Textseiten (3 Blätter fehlen), gilt den Evangelienperikopen der Sonntage und Herrenfeste sowie der Ferialtage der Advents-, Fasten- und Quatemberzeit. Er schließt auf fol. 155v-156v mit einem von Ulrich eingefügten Resümee des »Speculum humanae salvationis« in 42 vierzeiligen Strophen mit vorangestelltem Prolog. Fol. 157 ist leer.

Im zweiten Teil (De sanctis), fol. 157v-230r, fasst der Codex in 73 Predigten die Heiligenfeste des Kirchenjahres in der Abfolge des Festkalenders, ausgehend von den entsprechenden Legenden, zusammen.

Neun allgemeiner gehaltene Predigten, unter anderem zur Kirchweih, zur Primiz, zum Weltgericht sowie zu den gemeinsamen Heiligenmessen (fol. 230v-239r), setzen sich als eigener Block vom Proprium de sanctis ab.

Diese Einteilung des Grundtextes mit Temporale, Sanktorale und Commune sanctorum entspricht in der liturgischen Ordnung einem Missale (Messbuch), das Ulrich als Quelle nicht nennt, sondern als bekannt voraussetzt.

Aufbau einer Doppelseite

In den illustrierten Handschriften bildet in den bisher angeführten Kerntexten der CC die aufgeschlagene Verso- und Recto-Doppelseite für den Leser und Betrachter jeweils eine Sinneinheit.

CC, fol. 20v/21r: Sonntag innerhalb der Oktav von Erscheinung des Herrn

Darauf weist Ulrich im Prolog (fol. 2r) besonders hin, in dem er die Darstellungsweise des Werks vorstellt:

Auf der [der Bildseite] gegenüber liegenden Seite ist die Auslegung eines jeden Bildes mit seinem moralischen Sinngehalt ausführlicher im Text enthalten, inwiefern nämlich die Einzelheiten mit dem Evangelium übereinstimmend zusammenhängen.

Die Bildseiten (Verso-Seiten) zeigen in einem zentral plazierten, schon durch seine Größe im Rang hervorgehobenen Medaillon als Hauptdarstellung die Geschichte des Evangeliums vom Tage; im ersten Teil De tempore sind das Szenen aus dem Leben Jesu oder Parabeln und Gleichnisse – hier zum Beispiel (fol. 20v) im Bild der zwölfjährige Jesus im Tempel im Disput mit den Schriftgelehrten –, im zweiten Teil De sanctis zumeist Märtyrerszenen der Heiligenlegende, im dritten Teil Bilder zu marianischen oder weiteren kirchlichen Festen (im unten folgenden Schema Feld [a]).

Diese neutestamentlichen oder legendarischen Szenen werden von jeweils vier Prophetenhalbfiguren begleitet (Felder [f], [g], [h], [i]). Bibelzitate in der Umschrift der Medaillons und in Spruchbändern erläutern die Szene; Ulrich versteht die vier Propheten als Gewährsleute, deren Aussprüche mit ebendiesem Evangelium übereinstimmen (quatuor auctoritates de prophetis cum ipso euangelio concordantes). Unter den Hauptbildern sind in textierten Bildfeldern zwei Präfigurationen aus dem Alten Testament (hier zu Samuel und Daniel), seltener auch aus der Apostelgeschichte, der Apokalypse oder aus Apokryphen angeordnet (Felder [b] und [c]) – eine Komposition, die Ulrich der ›Weimarer Gruppe‹ der Biblia Pauperum entlehnt haben dürfte (Gerhard Schmidt):

Biblia Pauperum, CPl 871, fol. 13v (Ausschnitt:) Kreuztragung: Fünf-Ringe-Schema

Darunter werden in gleicher Größe, offenbar also auch in gleichem Rang, zwei Darstellungen von Dingen aus der Natur präsentier:

(im linken Feld die Heuschrecken [!] und im rechten ein weißes und ein schwarzes Schaf an der Quelle), die sich in irgendeiner Ähnlichkeit auf das betreffende Evangelium beziehen (due nature rerum ad ipsum ewangelium similitudinarie pertinentes, fol. 2r) (Felder [d] und [e]).

Die Lilienfelder Handschrift ist also dadurch ausgezeichnet, dass sie in Text und Bild zum ersten Mal durchgängig konsequent den alttestamentlichen Typen, formal gleich strukturiert und auch im Inhaltsumfang gleichwertig, Zeugnisse aus der Naturdeutung, und hier ganz schwerpunktmäßig aus der Tierallegorese, beigibt.

In der Forschung umstritten ist, ob es erlaubt ist, diesen Allegorien aus der Naturgeschichte eine ›typologische Funktion‹ zuzuerkennen (kritisch Munscheck 2000, bes. S. 44–62 und hier S. 60). Stimmt man dem mit dem gebotenen Problembewusstsein zu, dann werden auf diese Weise 238 Antitypen mit ihren Typen zu insgesamt 1188 verschiedenen Szenen vereinigt. Auf den Recto-Seiten wird der Text-Bild-Inhalt der Verso-Seiten in einem ausführlichen lateinischen Text im Hinblick auf die Konkordanzen aller Einzelheiten mit dem Tagesevangelium kommentiert (Feld [a]) und allegorisch-tropologisch gedeutet (Felder [b] bis [e]).

Schematisch lässt sich der Aufbau der Doppelseiten in Cod. 151, von wenigen Ausnahmen abgesehen, folgendermaßen darstellen:

Verso-Seite mit den Feldern (a) – (i):

Recto-Seite mit den Feldern (a) – (e):

Außerdem ist in die vollständigen Handschriften, so auch in Cod. 151 (fol. 239v – 249r), die Auslegung der Zehn Gebote integriert; zu den Anhängen siehe unten.

 

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Ein Beispiel, genauer betrachtet

Sehen wir uns nun einmal genauer exemplarisch eine Seite aus dem Teil zum Heiligenkalender an, aus dem Proprium de Sanctis. [Folie: 213v ganz]  Thema ist der hl. Lambertus, dessen Festtag der 17. September ist.

Im Zentralmedaillon (fol. 213v)  sehen wir die Szene der Enthauptung,

 


und im erklärenden Text der Umschrift [Verso-Seite fol. 213v Feld a, oben] heißt es:

Während der heilige Lambert Gott im Gebet Weihrauch opfert, sind die Henker zur Stelle und reichen ihm die Blütenkrone des Martyriums.

Im erläuternden Text [Recto-Seite fol. 214r, Feld a] berichtet Ulrich:

Der von Gott geliebte selige Lambert war bei Utrecht zum Bischof geweiht, und als er dann für den Glauben vertrieben worden war, lebte er bei Mönchen, wurde auf den Bischofsstuhl zurückgerufen und erhielt um der Gerechtigkeit willen die Krone des Martyriums.

Das entspricht der Lambert-Vita, die seit dem 8. Jahrhundert mehrfach aktualisiert wurde und weit verbreitet war: Lambert, Bischof von Tongern-Maastricht, musste im Jahr 675 in das Kloster Stablo ins Exil gehen, konnte aber unter König Pippin II. 682 wieder auf seinen Bischofssitz zurückkehren. Er erwarb sich große Verdienste bei der Christianisierung der Region im heutigen Nord-Brabant und wurde im Verlauf einer Blutrache in Lüttich erschlagen; da er sich nicht zur Wehr setzte, galt er schon früh als Märtyrer, und im gesamten Erzbistum Köln war sein Kult früh und weit verbreitet (Georg Gresser, Lambert [Landibertus], in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 6, Freiburg, Basel u.a. 1997, Sp. 618).

Das Zentralmedaillon ist umgeben von den vier Propheten David, Isaias, Jeremias und Nehemias (hier die rechte Seite mit den Feldern [g] und [i]),

deren Umschriften auf Schriftzitate verweisen, die ihre Gebetstätigkeit beschreiben:

[f]    David: Hierum wird jeder Heilige beten.

[g]   Isaias 53: Er hat gebetet für die, die Gottes Gesetz übertreten, daß sie nicht zugrunde gehen.

[h]   Jeremias 38: Vor dir habe ich meine Gebete ausgebreitet.

[i]    Nehemias 1: Ich habe gebetet vor dem Antlitz des Herrn.

Die darunter plazierten Bilder werden jeweils mit Kurztexten versehen (oben die Texte [b] bis [e]), die schon die Thematik der vier Bildfelder anreißen:

[b]    Mach dich zum Priester für mich, ich will dir ein Geschenk geben. <Michas:> Sei Priester für mich, und du wirst mir wie ein Sohn sein.

[c]    Die Frau setzt König Saul ein Kälbchen als Mahlzeit vor.

[d]    Sag, daß aus dem Kadaver eines verwesenden Kalbes Bienen gezeugt werden.

[e]    Purpurfarbe gewinnst du durch das Blut der fetten Purpurschnecke.

Im weiteren Text Ulrichs zu Lambert wird nun dieser als vorbildlicher Heiliger dargestellt, indem seine besondere Liebe der Gerechtigkeit hervorgehoben wird [weiter Text a zu fol. 214r]:

Dieser Heilige aber war gerecht, weil er die Gerechtigkeit verwirklichte, weil er die Gerechtigkeit liebte, weil er durch die Gerechtigkeit des Glaubens bis zum Tode kämpfte … [usw.]

Es schließen sich nun zunächst zwei Szenen aus dem Alten Testament an, die in mehr oder weniger textnaher Weise gedanklich Bezug nehmen auf die Vorbildfigur Lambert:

Es sind dies Szenen aus dem Buch der Richter und aus dem ersten Buch der Könige. [b] In dem einen Fall wird berichtet, wie Micha, ein Mann, der im Gebirge Efraim lebte, einen aus Bethlehem kommenden Leviten überredet, bei ihm zu bleiben und für ihn Dienste als Levit zu verrichten; er wird ›wie einer seiner Söhne‹. Ulrich referiert diese Geschichte und legt ihre Kernelemente allegorisch aus [Feld b]:

Im 17. Kapitel des Buches der Richter [Jud 17,10f.] liest man: Michas sprach zu einem Jüngling aus Bethlehem: Sei mein Priester, und ich werde dir zehn Silberstücke und ein doppeltes Gewand geben, und du wirst mir Sohn sein. Michas heißt übersetzt ›Wer ist jener?‹ und bezeichnet Christus, von dem dies zu Recht gesagt werden kann; denn niemand im Himmel oder auf Erden ist ihm ähnlich. Jener spricht zu einem Jüngling aus Bethlehem, d.h. zum seligen Bischof und Martyrer Lambert: Sei mein Priester, d.h. sei Mittler zwischen mir und den Völkern, und ich werde dir zehn Silberstücke geben, d.h. vollkommene Sinne zur Beobachtung aller Gesetze und Tugenden, und ein doppeltes Gewand schenken, d.h. er machte ihn einer doppelten Krone würdig, da er nämlich beabsichtigte, daß er in der Herrlichkeit Bekenner und Martyrer sei. Und er wurde ihm gleichsam auch Sohn, damit er allen Sündern ein Helfer und Schutzpatron sei.

[Die Allegorese läuft so: Priester ≈ Mittler zwischen Gott und Mensch; 10 Silberstücke: Zehn ≈ vollkommene Zahl, Zahl der 10 Gebote/Gesetze; doppeltes Gewand ≈ Bekenner und Martyrer; Sohn ≈ Helfer und Schutzpatron.]

Im Bild rechts [Feld c] geht es um eine Szene mit König Saul im Kampf gegen die überlegenen Philister, der sich mit einer Totenbeschwörerin von En-Dor auseinanderzusetzen hat (im Text mulier phitonissa, Hexe; Kontext 1. Sam 28,3–25). Ulrich schreibt: 

Im ersten Buche der Könige steht im 28. Kapitel: Die Hexe schlachtete ein Weiderind und bereitete Saul, dem König von Israel, eine Mahlzeit. [Man muss erklärend hinzufügen: Saul war völlig entkräftet aufgrund der schlechten Prophezeiung seines unmittelbar bevorstehenden Untergangs, und weil er lange nichts gegessen hatte.] Unter dieser Hexe verstehe die trügerische Falschheit der Welt. Sie sagt scheinbar Zukünftiges voraus, wenn sie ein langes Leben, Gesundheit und Reichtum verspricht. Jene schlachtete ein Rind, als sie durch ihre Betrügereien den seligen Lambert, ein durch Frömmigkeit gemästetes Kalb, tötete; er war ein Weiderind, weil ihn der Herr als Hirt auf die Weiden der heiligen Kirche gebracht hat. Dieses Rind aber wurde eine Lieblingsspeise für den König von Israel, d.h. für Christus, als er für seinen Namen unschuldig, aber dennoch freiwillig gemartert wurde.

Nachdem nun zwei Szenen aus dem Alten Testament kunstvoll – oder auch für den heutigen Leser in einer durchaus gekünstelten Weise – als Präfigurationen auf den Antitypus Lambert und sein Wirken bezogen worden sind, schließt Ulrich auf jeder Bildseite zwei Gegebenheiten aus der Natur an, um auch diese allegorisch auf den Heiligen zu beziehen.

Zunächst [d] referiert er eine merkwürdige Geschichte, für die er Isidor von Sevilla als Gewährsmann nennt; dessen Enzyklopädie ist ja, wie wir wissen, mit größter Intensität über Jahrhunderte rezipiert worden. Ulrich schreibt:

Isidor sagt: Wenn man das Fleisch eines Kalbes zerschlägt und der Verwesung aussetzt, dann entstehen daraus honigsammelnde Bienen.

Im 12. Buch von Isidors »Etymologiae« über die Tiere und dort im 12. Kapitel lesen wir zu den Bienen in einem längeren Eintrag auch Folgendes:

Viele haben die Erfahrung gemacht, dass [die Bienen] aus den Kadavern von Ochsen entstehen. Denn um diese zu erschaffen, wird Fleisch von getöteten Rindern geschlagen, so dass aus dem verfaulten Blut Würmer entstehen, die später zu Bienen werden. Dennoch werden eigentlich die Bienen genannt, die aus Rindern geboren sind, wie Hornissen aus Pferden, Drohnen aus Maultieren, Wespen aus Eseln (Isidor, Etym. 12,8,2; Übersetzung: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008, S. 488).

Die heute so fremd anmutende Kernaussage referiert Ulrich also richtig, um sie dann sogleich [d; Fortsetzung] allegorisch auf das Schicksal des Lambertus zu beziehen:

So wurde das Fleisch eines Kalbes, d.h. der reine und unschuldige Leib des heiligen Lambertus, geschlagen, als er auf feindliche Weise mit Schwertern und Beilen tödlich verwundet wurde. Er war auch der Verwesung ausgesetzt, als er wie jeder andere sündige Mensch nach menschlicher Sitte beerdigt war. Doch werden jetzt aus seinen glückseligen Reliquien Bienen, d.h. Tugenden der Gnaden und der Heilungen und Wundertaten, die den Honig der göttlichen Süßigkeit in den Herzen der Frommen sammeln, gezeugt, d.h. täglich zur Anrufung seines heiligen Namens aufgefordert.

Eine zweite Naturallegorie schließt Ulrich an:

[e] Isidor sagt: Die Auster (ostrea piscis) ist ein See-Lebewesen; sie ist eingeschlossen in Schalen und vergießt blutige Tränen, wenn sie mit dem Messer herausgeschnitten wird; in diese Tränen wird das Purpurgewand der Könige beim Färben eingetaucht.

Diese Aussage finden wir bei Isidor im Kapitel über die Fische, wo er die Purpurschnecke behandelt, deren verschiedene Namen er erklärt (murex, conchilium, aber eben auch ostrum / Auster, Etym. 12,6,50). Ulrich schließt eine allegorische, auf Lambert bezogene Deutung an, die wir recht gut nachvollziehen können]:

Wen soll ich unter der Auster anders verstehen als den seligen Lambert? Wie ein Fisch war er im Meer eingeschlossen, als er verwirrende Verfolgungen um Christi willen ertrug. Doch als er mit einem Messer herausgeschnitten, d.h. durch das Schwert der Scharfrichter tödlich verwundet wurde, weinte er nicht nur Tränen, sondern ließ eine Sturzflut von Blut hervorströmen, womit er bis heute [die Gewänder] der Könige, d.h. das lautere Gewissen frommer Menschen, purpurrot färbt, d.h. mit der purpurroten Hilfe der Gnaden seines blutigen Martyriums vorzüglich tränkt.


Ulrich schließt mit einer Gebetsbitte [f].

 

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Typologie mit Querbeziehungen und Oppositionen

Wie der Textauszug zeigt und wie durch Vergleich mit dem Gesamttext erkennbar ist, hat Ulrich den Text einem ganz einheitlich durchgehaltenen Schema eingepasst. Ausgangspunkt ist die mit Stellenangabe genannte Perikope, in der Regel das Evangelium vom Tage, das allegorisch (christologisch, tropologisch) gedeutet wird. Zwei typologisch auf das Evangelium bezogene Geschehnisse aus dem Alten Testament bzw. dem Heiligenleben folgen; der Bezug ergibt sich durch Handlungselemente, die den Verweis auf das neutestamentliche Geschehen oder Fakten aus dem Heiligenleben plausibel machen wollen.

Zwei naturallegorische Bedeutungsträger schließen sich gleichberechtigt an, sie sind einfach mit natura oder rerum natura überschrieben. Ulrich hat es nicht darauf angelegt, eine Theorie spätmittelalterlicher Naturauslegung zu entwickeln, sondern er praktiziert sie durch selbstverständliche Einbeziehung der Natur in eine interpretatio christiana im Dienst der Verkündigung. In beiden Fällen ist das – aus der Bibelallegorese vertraute – Deutungsschema völlig gleich; die Auslegungen erfolgen in kleinen Schritten, Satzelement für Satzelement werden die Personen bzw. die beschriebenen Tiere mit ihren einfachen oder komplexen Eigenschaften, ihrer Entwicklung, ihrem Verhalten und den mit ihnen vollzogenen Handlungen nach und nach durch standardmäßiges id est oder vergleichbares, formal anspruchsloses Vokabular des Bezeichnens zur Bedeutung geführt.

Eindeutig favorisiert hat Ulrich die Tierdeutung; Pflanzen werden viel seltener einbezogen. Mehr als 215 verschiedene, keinesfalls nur aus der Bibel bekannte Säugetiere, Insekten, Vögel, Reptilien und Meerestiere, auch Fabeltiere, dienen als Naturexempel, viele von ihnen werden mehrfach genannt – gelegentlich wird ihre deutsche Bezeichnung hinzugesetzt – und durch unterschiedliche Eigenschaften und Verhaltensweisen situationsgerecht gedeutet (vgl. Suntrup 2004a).

Nach diesem am Beispiel erläuterten Prinzip sind alle Textseiten und die darauf bezogenen textierten Abbildungen aus dem liturgischen Jahreskreis und zu den Heiligenfesten aufgebaut. Bemerkenswert sind hier die Abfolge und das gleichzeitige Zusammenspiel von Text und Bild. Das mittelalterliche Verständnis von Geschichte, so wird man pauschalisierend sagen dürfen, ist linear; es versteht die Geschichte als nach göttlichem Plan verlaufende Heilsgeschichte, die sich in den biblischen Büchern abbildet, welche die Menschheitsgeschichte von der Genesis der Welt bis zum apokalytischen Weltende als Kontinuum darstellen. Dieses linear konstruierte heilsgeschichtliche Weltbild kann und will sich in den typologischen Text-Bild-Zyklen nicht abbilden –  Bruno Reudenbach hat das in einer Publikation (2015) zur Biblia pauperum sehr überzeugend herausgearbeitet. Wie dort – und hier in den CC noch eindeutiger – erfolgt die Visualierung der Heilsgeschichte nicht linear, zumal unsere Handschrift nach den Evangelienperikopen geordnet ist, sondern die typologische Grundstruktur im Layout voller Querbeziehungen und Oppositionen erfordert die Fähigkeit, in gewisser Weise sprunghaft, assoziativ und synoptisch zu sehen und zu verstehen, die Relation von alt und neu, von der Verheißung des Vor- und Abbildes und der Erfüllung in Christus und der ihm verbundenen Kirche zu erkennen.

Zu den Quellen

Missale, Bibel und Legendare sind ständig zitierte oder paraphrasierte Quellen. Genauere Quellenuntersuchungen, die noch zu leisten wären, sind durch den offensichtlich synthetischen Charakter der CC schwierig; diese sind ein Zeugnis der ›enzyklopädischen Tendenz‹ (Gerhard Schmidt) des 13./14. Jahrhunderts, sie nutzen aber das theologische und naturkundliche Wissen der Zeit auf ganz originäre Weise. Die Profangeschichte bleibt hingegen – anders etwa als im »Speculum humanae salvationis« – völlig ausgeklammert.

Eine wesentliche Quelle sind die Schriften des Christan von Lilienfeld, dieser war Prior des Klosters, als Ulrich dort eingetreten war. Dass Ulrich durch Christan für die typologischen und naturallegorischen Auslegungen seiner CC wesentliche Anregungen erfahren hat, zeigen wörtliche Übernahmen (vornehmlich bei den Bildtituli) aus dessen »Concordancie de aliquibus veteris testamenti cum novo et aliis« und dessen »Versus de evangeliis dominicalibus« sowie Entlehnungen aus Christans Naturtraktaten (vgl. auch Munscheck 2000, S. 74). Die Schriften Christans (Cod. 137, Cod. 144 und Cod. 145 sind Sammelhandschriften Christans) waren für Ulrich im Kloster leicht zugänglich. – Die »Biblia Pauperum« hat sicher als Typensammlung auf die CC eingewirkt. In der Ausführlichkeit der Texte und in der Programmatik des Prologs, weniger jedoch in der inhaltlichen Ausführung sind die CC dem »Speculum humanae salvationis« verwandt, dessen Kompilation Ulrich in seinen Text aufnahm.

Bei den Naturallegorien in typologischem Gebrauch werden meistens nur die Autorennamen oder gelegentlich Werktitel verzeichnet, so dass eine exakte Quelle oft schwierig zu ermitteln ist. Als Autornamen werden bei den Naturallegorien aus der Antike besonders häufig Aristoteles und Plinius, unter den Autoren der Patristik und des Mittelalters die Kirchenväter Ambrosius und Augustinus (seltener Gregorius und Hieronymus), ferner Solinus, Isidor von Sevilla und Iacobus (de Voragine) genannt, dazu der »Experimentator« und ein »Liber rerum«. Eine große Zahl weiterer Autoren wird gelegentlich angeführt, darunter einige schwer zu identifizierende Namen, und der »Physiologus«. Für die Tierdeutung ist der »Liber De natura rerum« des Thomas von Cantimpré maßgeblich, nach Van den Abeele die ›Thomas-III‹-Redaktion wesentlich, aus welcher Ulrich Proprietäten entlehnt und komprimiert neuformuliert habe. Zudem sei mit eigenen Beiträgen Ulrichs zu rechnen, welche dieser teilweise mit Quellenangaben versehen habe, auch wenn sie aus dem Allgemeinwissen stammten.

Zu intensiven Quellenstudien hat Herbert Douteil durch seinen Quellenapparat die Grundlage gelegt. Sein Quellenverzeichnis weist rund 150 Autoren oder anonyme Werke auf. Dass es sich hierbei nicht um ›Quellen‹ im strikten Sinn handelt, ist Douteil und uns Herausgebern klar bewusst gewesen. Ulrich hat sein Wissen in erheblichem Maße über die ihm zur Verfügung stehenden Enzyklopädien gewonnen, memoriert und neuformuliert. Monastischer Exegese entspricht eher das meditative ›Zitieren‹ aus zweiter Hand und aus dem Gedächtnis, das freie Spiel mit Assoziationen, Ähnlichkeiten und Vergleichen, die in meditativer Lektüre gewonnen werden.

Ziel und Zweck

Wem hat eigentlich diese Handschrift gedient, welchen praktischen Zweck hat sie verfolgt, mit welcher Intention ist sie verfasst, für wen ist sie geschrieben? Über die ›Zielgruppe‹ äußert sich Ulrich im Prolog. Er versteht die CC als eine Kompilation, die sich in Text und Illustration an den durch Schlichtheit und Geldmangel, daher auch Büchermangel gekennzeichneten niederen Klerus und an religiöse Laien richte, sind doch Bilder die Bücher der ungebildeten Laien – picture sunt libri simplicium laicorum (fol. 2r, S. 4f.).

Die Formulierung suggeriert, ›einfache‹, zugleich leseunkundige Laien seien zu ihrer Unterweisung in besonderer Weise auf das Bild angewiesen, sie sagt aber nichts über den tatsächlichen Grad der Laienbildung im Spätmittelalter aus; dazu ist von einem differenzierten Laienbegriff auszugehen. Ulrichs Dictum ist topisch, von einer formelhaften Qualität, die über den tatsächlichen Adressatenkreis wenig aussagt. Der Prolog des von Ulrich benutzten »Speculum humanae salvationis« formuliert den gleichen Gedanken. Nach Anna Boreczky ist anzunehmen, das Werk sei »für die Konversen bestimmt, also für die im Zisterzienserorden lebenden Brüder mit Profeß, die jedoch keine höheren Studien betrieben und nicht zu Priestern geweiht wurden« (Boreczky 2001, S. 2).

Einleitend schrieb ich, die CC seien in ihrem Kern eine Predigtsammlung. Jedoch handelt es sich nicht um ausformulierte Predigten, sondern eher um postillenartig geordnete Predigtentwürfe und -hilfen. Dass die Handschrift der praktischen Predigtvorbereitung gedient hat, dürfte sich schon aus dem durch das Missale vorgegebenen Grundschema mit den drei Kategorien De tempore, De sanctis und Commune sanctorum ergeben. Auch der privaten Meditation dürfte der reich illustrierte Codex, dessen Bildseiten einen ganz wesentlichen Bestandteil der Handschrift ausmachen, gedient haben. Die überwiegend schlichten Federzeichnungen, von verschiedenen Illustratoren unterschiedlicher Begabung angefertigt, sind keinesfalls nur schmückendes Beiwerk, sondern eine wesentliche Verständnis- und Memorierhilfe.

Mit Sicherheit hat die Handschrift aber auch eine didaktische Funktion. Den Novizen und Mönchen wird durch den typologischen Grundtext ein umfassendes biblisches Wissen vermittelt. Martin Roland spricht von einem »biblisch-liturgischen Universallehrbuch für Postulanten, Novizen und Mönche« (Roland 2015). Auf die Lehrfunktion weist auch der umfangreiche Anhang der Handschrift hin. Er umfasst weitere Kleintexte allegorisch-didaktischen Inhalts, von denen einige (mit deutschem Text) Ulrich zuzuschreiben sind; Reihenfolge und Anzahl der Zugaben variieren in den Handschriften, teilweise sind sie auch separat überliefert.

Mit der konsequenten Einbeziehung der Naturexempel hat Ulrich ein höchst anschauliches Mittel der tropologisch-moralischen Unterweisung und der eigenen Erbauung gefunden, das strukturell ähnlich im »Defensorium inviolatae virginitatis beatae Mariae« des Franz von Retz und im gesamten Aufbau des »Aequipollarius« des Konrad Bart fortlebte. Ein schönes Beispiel für die Nachwirkung typologischen Denkens ist auch die »Concordantz und Vergleichung des alten und newen Testaments«, illustriert von Augustin Hirschvogel, Wien 1550 (dazu die Dissertation 1994 von Karsten Falkenau, Regensburg 1999); als Ganzes jedoch waren die CC zu umfangreich, zu komplex und wohl auch fallweise zu gekünstelt in den typologischen Bezügen, um auf eine nachhaltige Rezeption rechnen zu können.
 

Literatur

Quellenedition:

Herbert Douteil, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355), hg. von Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt und Volker Honemann, Bd. 1: Einführungen, Text und Übersetzung, Bd. 2: Verzeichnisse, Quellenapparat, Register, Farbtafeln der Bildseiten der Handschrift, Münster: Aschendorff 2010.

Neuere Forschungsliteratur in Auswahl, chronologisch geordnet:

Schmid 1954 — Alfred A. Schmid, ‘Concordantia caritatis’, in: Reallexikon zur deutschen  Kunstgeschichte, Bd. 3 (1954), Sp.  833-853 (online hier)

Schmidt 1959 — Gerhard Schmidt, Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 19), Graz – Köln 1959, S. 93-96 und Register

Mussbacher 1965 — Norbert Mussbacher, Das Stift Lilienfeld, Wien 1965

Röhrig 1965 — Floridus Röhrig, Rota in medio rotae. Ein typologischer Zyklus aus Österreich (Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg, N.F. 5), Klosterneuburg 1965, S. 7-113, bes. S. 53-56

Van Looveren 1968 — L. H. D. Van Looveren, Concordantia caritatis, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1 (1968, Sp. 459-461

Schmidtke 1975 — Dietrich Schmidtke, Lastervögelserien. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Tiersymbolik, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 212 (1975), S. 241-264, hier S. 255

Schmidtke 1976 — Dietrich Schmidtke, Nachtrag zu „Lastervögelserien“ (Archiv 212, S. 241ff.),  in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 213 (1976), S. 328f.

Worstbrock 1978    Franz Josef Worstbrock, Christan von Lilienfeld, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 1 (1978), Sp. 1202-1208

Henkel 1989 — Nikolaus Henkel, ‘Rat der Vögel’ (‘Vogelsprache’), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 7 (1989), Sp. 1007-1012

Mussbacher 1991 — Norbert Mussbacher, Lilienfeld, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 (1991), Sp. 1984f.

Henkel 1994 — Nikolaus Henkel, Lehre in Bild und Text. Der ‘Rat der Vögel’ des Ulrich von Lilienfeld, in: Zwischen den Wissenschaften, Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte, Festschrift Bernhard Gajek zum 65. Geburtstag, hg. von Gerhard Jahn und Ernst Weber, Regensburg 1994, S. 160-170

Mikkers 1994 — Ulrich de Lilienfeld,  in: Dictionnaire de Spiritualité 16 (1994), Sp. 26f.

Van den Abeele — Baudouin Van den Abeele, Bestiaires encyclopédiques moralisés: 1994    quelques succédanés de Thomas de Cantimpré et de Barthélemy l’Anglais, in: Reinardus 7 (1994), S. 209-228, bes. S. 218-220

Roland 1996 — Martin Roland, Buchschmuck in Lilienfelder Handschriften von der Gründung des Stiftes bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 22), Wien 1996, S. 77-81

Knapp 1997— Fritz Peter Knapp, ‘Ulrich von Lilienfeld.’ In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon . Bd. 12, 1997,  Sp. 896–897

Knapp 1999 — Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439, Halbbd.1: Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart 2), Graz 1999, S. 76-89, bes. S. 83-89

Suntrup 1999a — Rudolf Suntrup, ‘Ulrich von Lilienfeld OCist’, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 10 (1999) [erschienen in Lieferung 1 (1996)], Sp. 1-8


Suntrup 1999b — Rudolf Suntrup, Typologische Heilsgeschichts-Konzepte in mittelalterlicher geistlicher Literatur, in: Germanistische Mediävistik, hg. von Volker Honemann – Tomas Tomasek (Münsteraner Einführungen: Germanistik 4), Münster 1999, 2. Aufl. Münster 2000, S. 277-308.

Munscheck 2000 — Hedwig Munscheck, Die „Concordantiae caritatis“ des Ulrich von Lilienfeld. Untersuchungen zu Inhalt, Quellen und Verbreitung, mit einer Paraphrasierung von Temporale, Sanktorale und Commune (Europäische Hochschulschriften Reihe 28 Kunstgeschichte, 352), Frankfurt am Main u.a. 2000

Roland 2000 — Martin Roland, Die Buchmalerei, in: Die Gotik, hg. von Günther Brucher (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich 2), München 2000, S. 490-529, zu den CC S. 515f.

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Roland 2002 — Martin Roland, Die Lilienfelder Concordantiae Caritatis (Stiftsbibliothek Lilienfeld Cli 151) (Codices Illuminati 2), Graz 2002

Suntrup 2003a — Rudolf Suntrup, ‘Typologie’, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Manfred Landfester. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte. Bd. 15/3, Stuttgart – Weimar 2003, Sp. 677-685

Suntrup 2003b    Rudolf Suntrup, ‘Typologie1’, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, hg. [...] von Jan-Dirk Müller, Berlin – New York 2003, S. 607-609

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Suntrup 2004a — Rudolf Suntrup, Tierallegorese in den ‘Concordantiae Caritatis’ des Ulrich von Lilienfeld, in: Tierepik und Tierallegorese. Studien zur Poetologie und historischen Anthropologie vormoderner Literatur, hg. von Bernhard Jahn – Otto Neudeck (Mikrokosmos 71), Frankfurt am Main u.a. 2004, S. 165-186

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Suntrup 2004c    Rudolf Suntrup, Rezension [zu Munscheck 2000], in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 133 (2004), S. 131-136

Van den Abeele 2004    Baudouin Van den Abeele, Rezension [zu Munscheck 2000], in: Scriptorium 58,1 (2004), Bulletin codicologique  Nr. 236, S. 73*-74*

Boreczky 2006a — Anna Boreczky, Details des Bilderkatechismus der Concordantiae caritatis im Klosterneuburger Kodex von Liebhard Egkenfelder, in: Galéria, ročenka Slovenskej Národnej Galérie v Bratislave 2004-2005, S. 161-166

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Kern 2006 — Margit Kern, Rezension [zu Munscheck 2000], in: Mittellateinisches Jahrbuch 41,1 (2006), S. 122-126

Kress 2006 — Berthold Kress, An illuminated paper manuscript of the Concordantiae caritatis reconstructed, in: Scriptorium 60, 1 (2006), S. 96-106

Lackner 2006 — Katalog der mittelalterlichen Handschriften bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in der Zentralbibliothek der Wiener Franziskanerprovinz in Graz, bearbeitet von Franz Lackner (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften 336; Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters 2,9), Wien 2006, S. 143-145 [Hs. Graz A 67/31]

Opll – Roland 2006 — Ferdinand Opll – Martin Roland, Wien und Wiener Neustadt im 15. Jahrhundert. Unbekannte Stadtansichten um 1460 in der New Yorker Handschrift der Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 45), Innsbruck u.a. 2006 [Lit.-Verz. S. 113-120]

Van den Abeele 2007 — Baudouin Van den Abeele, Fortune et mutations des encyclopédies latines durant le Moyen Age tardif. Thèse d’Agrégation de l’enseignement supérieur, Université catholique de Louvain, Louvain-la-Neuve, 30 octobre 2007 (Druck in Vorbereitung) [zu den CC Kap. III. C. 1. e. und Annexe A. 13.]

Roland 2008 — Martin Roland, [Stoffgruppe] 27a. Ulrich von Lilienfeld, ‘Concordantiae caritatis’, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters. Begonnen von Hella Frühmorgen-Voss†. Fortgeführt von Norbert H. Ott zusammen mit Ulrike Bodemann, Band 4/1, Lieferung 1/2 (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), München 2008, S. 14-19

Boreczky 2009— Anna Boreczky, A budapesti Concordantiae caritatis [Die Budapester CC <Hs. Wien 1413>], Diss. Budapest 2009

Roland 2013— Martin Roland, Ulrich von Lilienfeld und die „Originalhandschrift“ seiner Concordantiae caritatis, in: Medieval Autograph Manuscripts. Proceedings oft he XVIIth Colloquium of the Comité International de Paléographie Latine, hg. von Nataša Golob, Turnhout 2013 (Bibliologia 36), S. 181-200

Roland 2015 — Martin Roland, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, in: Campililiensia. Geschichte, Kunst und Kultur des Zisterzienserstiftes Lilienfeld (Hg. von Pius Maurer, Irene Rabl, Harald Schmid). Lilienfeld 2015, S. 249–272

Reudenbach 2015 — Bruno Reudenbach, Salvation History, Typology, and the End of Time in the Biblia Pauperum, in: Between Jerusalem and Europe. Essays in Honour of Bianca Kühnel, hg. von Renana Bartal – Hanna Vorholt, Leiden, Boston 2015, S. 217–232.

 

Umfassende Materialien zu den CC, zusammengestellt von Martin Roland, sind zugänglich über: http://www.univie.ac.at/paecht-archiv-wien/materialien_index.html (Aufruf 15.09.2015)