Durch die Blume gesagt

Heikle diplomatische Botschaften wurden seit alters verschlüsselt. Auch Allegorien können als Geheimschrift dienen.


Zeder und Distel

Amazja, König von Juda (8. Jh. BCE), bricht nach militärischen Erfolgen, ohne dass ein Grund dafür genannt würde, einen Kampf gegen den König des Nordreichs (Israel), Joasch vom Zaun. König Joasch warnt ihn (2Kön 14,9):

8 Damals sandte Amazja Boten an Joasch, den Sohn des Joahas, des Sohnes Jehus, den König von Israel, und ließ ihm sagen: »Komm, wir wollen (im Kampf) einander gegenübertreten.« 9 Doch Joasch, der König von Israel ließ dem König Amazja von Juda sagen: »Der Dornstrauch auf dem Libanon ließ der Zeder auf dem Libanon sagen: Gib deine Tochter meinem Sohn zur Frau! Aber die Tiere des Libanon liefen über den Dornstrauch und zertraten ihn.«

Trotzdem beginnt Amazja den Krieg, wird jedoch geschlagen und gefangengenommen. Joasch führt einen Gegenschlag durch und erobert in Juda Jerusalem.

Hinweis: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/13145/


»Unkraut jäten« als Geheimbotschaft

(Historischer Hintergrund:) Im Jahre 792 kam es zu ein Verschwörung gegen König Karl den Großen; an der Spitze der Aufständischen stand sein erster Sohn Pippin ›der Bucklige‹ (um 770 – 811), den er mit einer Konkubine namens Himiltrud gezeugt hatte. Dieser hatte sich als Bastard möglicherweise hinter seinen jüngeren Halbbrüdern zurückgesetzt gefühlt, die bereits Königreiche zugewiesen bekommen hatten. Einige führende Franken hatten versprochen, ihn zum König zu machen. Einhard berichtet in seiner Biographie (Kap. 20) knapp darüber, sowie auch über eine frühere Verschwörung aus dem Jahre 785/6 unter dem Anführer Hardrat / Hartrat. Der Anschlag Pippins wurde entdeckt und die Schuldigen als Hochverräter bestraft. An seinem eigenen Sohn Pippin wollte der Kaiser nicht die Todesstrafe vollstrecken lassen; er wurde für den Rest seines Lebens in ein armseliges Kloster gesteckt.

Notker Balbulus († 6. April 912 im Kloster St. Gallen) hat seine Quellen etwas umgestaltet und pointiert (»Gesta Karoli Magni« II,12). Dazu dreht er die Chronologie um und lässt Pippin bereits im Kloster leben, wie die Aufrührer Hand an den König legen wollen. Dem König bleibt das nicht verborgen, aber weil er die Aufständischen ungern zugrunde richten will, die er zum Schutz des Reiches braucht,

schickte er Gesandte an Pippin, um ihn zu fragen, was er mit ihnen machen solle. Diese fanden ihn im Garten […], damit beschäftigt Nesseln und anders Unkraut mit einer Hacke auszujäten, damit die guten Kräuter besser wachsen könnten (urticas et noxia quaeque tridente extrahentem reperissent, ut usui proficua vivacius excrescere valerent). Und hier meldeten sie ihm die Ursache ihrer Ankunft. Das seufzte er tief […] und erwiderte: »]…] Sagt ihm [Karl], womit ihr mich beschäftig fandet.« Jene fürchteten sich, ohne eine bestimmte Antwort zu dem schrecklichen Herrscher zurückzukehren, und fragen ihn wiederholt, was sie ihrem Herrn melden sollten. Da sagte er grollend: »Nichts anders lasse ich ihm melden, als was ich tue. Das unnütze Kraut reisse ich aus, damit die brauchbaren Kräuter besser wachen können (Inutilia recrementa extraho, ut holera [von holus ›Gemüse‹] necessaria liberius excrescere valeant.)«

Sie zogen also traurig ab, als ob sie nichts Vernünftiges mitbrächten. Da sie aber zum Herrscher kamen, und befragt wurden, was sie brächten, klagten sie, dass sie für sei eine weite Streckte und Reise nicht einmal um ein einziges Wort klüger heimkämen.

Als nun der kluge (sagacissimus) König sie der Reihe nach fragte, wo sie ihn gefunden hätten und womit beschäftigt, und was er ihnen geantwortet habe, da sprachen sie: »Auf einem bäurischen Dreifuss sass er und bearbeitete mit einer Hacke ein Gemüsebeet (tridente areolam holerum novellantem), und als wir ihm den Grund unserer Reise vortrugen, konnten wir mit unseren dringenden Bitten nur diese Antwort von ihm erlangen. ›Nichts anderes‹, sagte er, ›lasse ich ihm melden, als was ich tue. Die unnützen Kräuter reisse ich aus, damit die brauchbaren desto besser waschen können.‹ (Nihil aliud ei demando, nisi quod facio: inutilia recrementa extraho, ut holera necessaria liberius excrescere valeant.)«

Als der mit Scharfsinn und Weisheit begabte Kaiser (astu non carens et sapientia pollens Augustus) das gehört hatte, rieb er sich die Ohren, atmete heftig auf und sagte: »Eine verständige Antwort habt ihr mir gebracht, treffliche Vasallen.« Während jene Gefahr für ihr Leben fürchteten, brachte er den Inhalt ihrer Worte zur Ausführung, nahm alle Verschwörer aus der Mitte der Lebenden hinweg und verlieh die vorher von jenen Unfruchtbaren eingenommenen Plätze (ab infructuosis loca ) seinen Getreuen, damit sie wüchsen und sich ausbreiteten (crescendi et se extendendi causa).

Die Technik, Botschaften auf diese Weise geheim zu vermitteln, nennt man Steganographie. Anders als in der Kryptographie, bei der ein Aussenstehender zwar weiss, dass eine verschlüsselte Information vorliegt, aber den Code nicht kennt, rechnet der Absender beim Steganogramm damit, dass Nichtbefugte gar nicht merken, dass die übermittelten Daten eine anderen Inhalt haben als den offensichtlichen, aber belanglosen.

Der König versteht die Allegorie vom Unkraut, das auszureissen ist, damit die Nutzpflanzen gedeihen, sofort. Im Gegensatz zu den nichts Ahnenden Boten hat er ja eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich der Antwort.

Bei der Deutung des Bildes hilft dessen biblischer Ursprung. Jesus erklärt: Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. Der Feind, der sie sät, ist der Teufel. […] Gleichwie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird es auch am Ende dieser Welt gehen (Matthäus 13,38ff.) – Noch Walther von der Vogelweide wird (vor 1217) in einem politischen Spruch den Fürsten mit diesem Gleichnis mahnen, den Hofstaat zu pflegen: Sî boese unkrût dar under, daz breche er ûz besunder […] und merke ob sich ein dorn dar breite (L. 103,13ff.)

Qeulle: Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen (Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris), hg. von Hans F. Haefele, Berlin 1959 (Scriptores rerum Germanicarum, Nova series 12); S. 73. – Deutsche Übersetzungen: Wilhelm Wattenbach, Berlin 1877 (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Neuntes Jahrhundert, Bd. 13) – Reinhold Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte III, Darmstadt: WBG 1960.


Eine ähnliche Geschichte erzählt Livius (ca. 59 v.Chr. bis a. 17 n.Chr):

Der (legendenhafte) L. Tarquinius Superbus hat seinen Sohn Sextus Tarquinius in die von den Römern belagerte Stadt Gabii geschickt, der sich dort als Überläufer ausgibt. Dieser macht sich dort beliebt und wird von den Bürgern von Gabii zum Feldherren gewählt. Nun sucht er Rat bei seinem Vater und schickt dazu einen Boten nach Rom, die bei ihm Instruktionen einholen sollen. Der schlaue Tarquinius Superbus misstraut aber den Boten. Er geht im Garten des Palastes auf und ab, schlägt mit einem Stecken Mohnköpfe ab. Der Bote kehrt scheinbar unverrichteter Dinge nach Gabii zurück und berichtet, was er gesehen hat. Dem Sohn Sextus wird sofort klar, was sein Vater ihm mit den wortlosen Andeutungen (tacitis ambagibus) rät, und er schaltet die in Gabii herrschende Führungsschicht aus. (»Ab urbe condita« I,54)

 

Holzschnitt von Tobias Stimmer (1539–1584), in: Titus Livius/ Vnd Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung des Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weißheit/ Ehrbarkeit/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori vnnd Sieg/ gegen jhren Feinden: Auch von allerley Händeln vnd Geschichten/ so sich so sich in Fried und Krieg, zu Rom, in Italia, vnd bey andern Nationen, damit die Römer jeder zeit zu thun gehabt/ fast innerhalb achthundert jaren/ von erbawung der Statt an ... biß auff der ersten Römischen Keyser Regierung/ verloffen und zugetragen. Jetzund auff das newe auß dem Latein verteutscht ... Straßburg, Th. Rihel, 1590.


Vogel, Maus, Frosch

Herodot (Historien IV, 131ff.) erzählt vom Feldzug des Perser-Königs Dareios I. gegen die Skythen (513 v.u.Z.): Die Skythen ersinnen eine Kriegslist, um die Perser zugrunde zu richten. Sie lassen die Vieherden zurück und ziehen an einen andren Ort. Das funktioniert: die Perser nehmen das Vieh, kommen aber längerfristig in Not.

… und als die Könige der Skythen dieses erfuhren, schickten sie einen Herold, der dem Darius einen Vogel, eine Maus, einen Frosch und fünf Pfeile zum Geschenke brachte. Die Perser fragten den Boten, was das Überbrachte bedeuten sollte; dieser gab zur Antwort, ihm sei nichts anderes befohlen, als dass er nach Übergebung dieser Dinge gleich wieder fortgehen sollte, sagte aber doch, wenn die Perser scharfsinnig wären, so möchten sie selbst entdecken, was diese Geschenke vorstellen sollten.

Die Perser hielten Rat. Die Meinung des Darius war, die Skythen übergäben sich ihm selbst, ihr Land und ihr Wasser. Er stellte nämlich diese Vergleichung an: Die Maus sei in der Erde und genieße mit dem Menschen einerlei Speise; der Frosch im Wasser; der Vogel sei einem Pferde sehr gleich; und mit den Pfeilen übergäben sie ihre Ställe und Macht. Diese Auslegung machte Darius. Aber die Meinung des Gobryas […] hatte mehr Wahrscheinlichkeit, indem er die Geschenke so auslegte: Wenn ihr Perser nicht Vögel werdet, die in die Luft fliegen, oder Mäuse, die in die Erde kriechen, oder Frösche, die in einen See hüpfen, so werdet ihr, von diesen Pfeilen getroffen, nicht wieder in euer Land zurückkommen. So deuteten die Perser die Geschenke.


Nachtstuhl, Maikäfer, Podagra

Jonathan Swift (1667–1745) macht sich in »Gullivers Reisen« (Erstdruck: London 1726) über die Techniken des Geheimdiensts lustig:

Hierauf erzählte ich ihm, im Königreich Tribnia, das von den Eingeborenen Langden genannt wird und wo ich früher auf meinen Reisen einige Zeit verweilte, bestehe die größere Masse des Volkes aus Angebern, Zeugen, Spionen und Eidesleistern nebst dienenden und subalternen Werkzeugen, die sämtlich unter den Fahnen, der Leitung und Besoldung der Staatsminister und ihrer Beamten ständen. Die Verschwörungen in jenem Königreich seien gewöhnlich die Schöpfung der Personen, die sich einen Ruf als große Politiker machen wollten; oder sie seien erregt, um eine gebrechliche Regierung aufrechtzuerhalten, oder damit jene ihre Koffer mit Konfiskationen füllten oder den Staatskredit sinken und steigen ließen, wie es ihrem Privatvorteil angemessen sei. Zuerst wird bestimmt, welche verdächtige Personen einer Verschwörung angeklagt werden sollen; dann trägt man Sorge, alle ihre Briefe und Papiere zu untersuchen und die Eigentümer davon in Ketten zu schmieden.

Diese Papiere werden einer Künstlergilde übergeben, die sehr geschickt ist, die geheimnisvolle Bedeutung der Worte, Silben und Buchstaben zu enträtseln; zum Beispiel finden sie heraus: Ein Nachtstuhl bedeute einen Geheimen Rat; eine Herde Gänse eine Staatsversammlung; ein lahmer Hund einen Feind, der einen Angriff von außen beabsichtigt; eine Pest ein stehendes Heer; ein Maikäfer einen Premierminister; das Podagra einen Hohenpriester; ein Galgen einen Staatssekretär; ein Nachttopf einen Ausschuß von Lords; ein Sieb eine Hofdame; ein Besen eine Revolution; eine Mausefalle ein öffentliches Amt; ein bodenloser Brunnen eine Schatzkammer; ein Abzugskanal einen Hof; eine Narrenkappe einen Günstling; ein zerbrochenes Rohr einen Gerichtshof; ein leeres Faß einen General; eine offene Wunde die Staatsverwaltung.

Ist diese Methode nicht genügend, so werden zwei andere von größerer Wirksamkeit in Anwendung gebracht, die bei den Gelehrten mit dem Namen Akrostichen und Anagramme bezeichnet werden. Erstens können sie in allen Anfangsbuchstaben eine politische Bedeutung dechiffrieren. So soll N eine politische Verschwörung, B ein Kavallerieregiment, L eine Flotte zur See bedeuten, oder man versetzt den Buchstaben in einem verdächtigen Papier und entdeckt so die tiefsten Pläne einer unzufriedenen Partei. Wenn ich zum Beispiel schreibe: Unser Bruder Tom hat einen Hämorrhoidalknoten, so kann das auf folgende Weise dechiffriert werden: Wir haben ein Komplott organisiert, das (durch Hämorrhoidalknoten bezeichnet) bald ausbrechen wird.

Dritte Reise nach Laputa, Lagado usw., 6. Kapitel hier in der Übers. v. Franz Kottenkamp (1806–1856) (http://www.zeno.org/Literatur/M/Swift,+Jonathan/Roman/Gullivers+Reisen)