Rosa Micus:

Repräsentation – Sieg – Niederlage. Der ideelle Sieg

Referat am Kolloquium der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung, 17.September 2022

Inhaltsübersicht

• Der Sieg: Die Heilige Lanze

   Epilog

•Die Niederlage: Zwinglis Waffen

   Epilog

Der Sieg

Die Heilige Lanze

Die Heilige Lanze gehört, seitdem sie etwa um 930 ins Licht der geschichtlichen Überlieferung tritt*, zum Hort der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches und befindet sich bis zum Ende des Alten Reiches 1806 im Besitz des jeweils machthabenden Königs. Um sie zu erlangen, tauschte der Herrscher Heinrich I. (reg. 919 – 936) sie von Rudolf von Burgund gegen die Südwestecke des Regnum Theutonicorum, des ehemaligen ostfränkischen Reichsteils der Reichsteilung unter den Söhnen Karls des Großen, einschließlich Basel ein. Dieser mit neuzeitlichen Maßstäben nicht zu ermessende Wert hatte seinen Grund in ein in die Lanzenspitze eingesetztes schmallanges Metallstück, das als ein Nagel vom Kreuz Christi angesehen wurde. Rudolf II. hatte diese Lanze aus Oberitalien mitgebracht, mit der er seine Herrschaft über das Regnum Italicum bestätigt und beglaubigt sah. Diese Herrschaft (922 – 926) hatte er zwar dauerhaft nicht halten können, hatte aber die Lanze mit nach Burgund genommen.**

*) Sie wurde 926 oder 935 von Kaiser Heinrich I. erworben. SCHRAMM, Percy Ernst: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert (3 Bde.) Bd. II. Stuttgart 1955 (=Schriften der Monumenta Germaniae historica 13/II); S. 501

**) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 535.

Heilige Lanze in der Wiener Schatzkammer
> https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Heilige_Lanze_f.jpg

Bild in höherer Auflösung hier
> https://www.khm.at/objektdb/detail/100443/

Seitdem wir sie kennen, handelt es sich um eine „Reliquien-Lanze“, was ihre Bezeichnung als ›Heilige‹ erklärt. Zwar gelten Kronen mittelalterlicher Herrscher, nicht zuletzt die Reichskrone, auch als heilig, und es konnten auch hier Spolien eingesetzt sein, sie bekamen aber nicht diese Ehrenbezeichnung als festen Namensbestandteil*. Otto I., gen. d. Gr. (reg. 936 – 973)**, der König Konrad von Burgund festsetze und so dieses Alpen- und Rhoneland an das Reich band***, kniet 939 vor der Schlacht bei Birten (bei Xanten) vor der Lanze nieder, und schlug in der Folge eine Erhebung von Aufständischen erfolgreich nieder. 955 wurde sie bei der Schlacht auf dem Lechfeld (bei Augsburg) dem kaiserlichen Heer vorangetragen, das die Ungarn, die bis weit in den Westen vorgedrungenen Reiter der eurasischen Steppen, schlug und damit dauerhaft aus Mitteleuropa zurückdrängte. Die Ereignisse sind historisch gesichert; das Mitführen und der Umgang mit der Lanze sind schon bald so fest mit dem Ereignis verbunden, daß auch sie längst Bestandteil der historischen Wahrheit sind. Die Lanze sichert demjenigen, der sie in seinem Besitz hat, den Sieg.

*) Eine Ausnahme könnte hier die Hl. Stephanskrone der Ungarn sein.

**) Zu seiner Vita vgl. SCHIEFFER, Theodor: Otto I d. Gr. Sp. 1303–1305 in: LThK Bd. 7 (2.Aufl. 1962).

**) ebd. Sp. 1304.

Seitdem wir sie kennen, handelt es sich bei dieser Lanze auch um ein Symbol für Herrschaft und territorialen Anspruch*: Diese Lanze verhilft zum Sieg. Auch wenn sie nicht mehr als Kampfwaffe eingesetzt wurde, muss sie das ursprünglich, als eher schlichte, gänzlich unverzierte stählerne Metallspitze des 8. Jahrhunderts gewesen sein, aber ihre eigentliche Macht entfaltete sie aus ihrer Symbolkraft als Reliquienträger eines Kreuznagels Christi.**

*) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955).

**) WERQUET, Jan: Heilige Lanze (Katalogbeitrag) S. 125 f. in: HEINEMANN, Katharina (Hg.): Kaiser – Reich – Stadt. Die Kaiserburg Nürnberg (Ausst.kat.) München 2013; S. 125.

Man sah die Lanze seit dem Hohen Mittelalter als die Lanze des Hl. Mauritius an. Diese Idee scheint zum ersten mal 1008 in einem Brief des Hl. Brun von Querfurt an König Heinrich II. (reg. 1002 – 1024) auf, als er diesen von dem Plan eines Bündnisses mit heidnischen Stämmen gegen das christliche Polen abbringen wollte, und den Heidengott Zuarasi dem Hl. Mauritius gegenüberstellte sowie die sacra lancea den diabolica vexilla gegenüberstellte.* Der Legende nach war Mauritius der Heerführer der thebäischen Legion, die als christlicher Heeresverband im kaiserzeitlichen Rom kurz vor 300 vollständig vernichtet worden war, und Mauritius wurde seit karolingischer Zeit in den Kaiserlaudes als Heiliger angerufen. Otto I. fühlte sich dem kriegerischen Heiligen, den das spätere Mittelalter immer als Ritter darstellte, äußerst verbunden; er widmete ihm sein 937 in Magdeburg gestiftetes Kloster und das ganze Erzbistum. Die Schlacht auf dem Lechfeld fand am Tag des Hl. Mauritius, an einem 22. September, statt.

*) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 509 – hier auch die Begriffe.

Die Legende um die Kreuzauffindung durch die Hl. Helena, der Mutter Kaiser Konstantins, des ersten christlichen Kaisers der Antike, hatte nur Kreuzbalken und Nägel der Kreuzigung gekannt, keine Lanze.* Zum Reichsschatz des Mittelalters gehörte auch Holz vom Kreuz Christi, das in das Reichskreuz eingearbeitet war. Da die Lanze zunächst ein kriegerisches Objekt ist, mit dem Nagel aber eine Reliquie barg, konnte sie seit dem späten 10. Jh., seit der Herrschaft Ottos III. (reg. 994 – 1002) als Lanze des hl. Mauritius angesehen werden, und war über den Nagel mit Christus selbst verbunden. So daß sie bereits seit dieser Zeit als „Doppel-Reliquie“ gesehen wurde, was ihre Symbolkraft festigte, indem es ihre Bedeutung steigerte. Wurde sie dem Herrscher nicht vorangetragen, lag sie in einer rückwärtigen Eintiefung im Querbalken des Reichskreuzes.**

*) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 510.

**) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 511 f.

Bekannt ist die 999 / 1000 angefertigte Nachbildung der Heiligen Lanze, die Otto III. dem polnischen Herzog Boleslaw Chrobry, ein enges Bündnis mit diesem suchend, geschenkt hat.* Insbesondere ist sie nicht nur erhalten, sondern ihre reale Existenz ist bereits im Mittelalter, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Teil des Krakauer Domschatzes, bezeugt.** Sie war den polnischen Herzögen so wichtig und wurde wegen ihrer Herkunft als ein solch dezidiert königliches Symbol verstanden, daß man – eine politische Schwäche des Reiches nach Heinrichs II. Tod (des Nachfolgers von Otto) – dazu nutzen konnte, sich zur Königswürde mit corona et lancea deaureata*** zu erheben – auch wenn man dieses Status nur zwei Generationen halten konnte. Sie war in Gnesen im Tausch gegen einen Armknochen des 996 von den Pruzzen auf einer Missionsreise erschlagenen, und im Jahr 999 heiliggesprochenen Bischofs von Prag, Adalbert, eingetauscht worden****. Es ist naheliegend, daß nur schon eine Replik der Lanze den Status einer Reliquie haben konnte;***** den Status eines königlichen Symbols hatte sie sicher, wie ihre Erwähnung in der zeitgenössischen Annalistik zum Jahr 1030 (op. cit.) belegt.

*) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 502.

**) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 519.

***) Magdeburger Annalen zum Jahr 1030 (Mon. Germ., SS. XVI, S. 170) zit nach: SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 517.

****) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 503 – (Verlegung der Hauptstadt von Gnesen nach Krakau 1038).

****) Wenn auch angenommen werden darf, daß Partiikel der Nagel-Reliquie in die Replik eingeschmiedet wurden. SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S, 534.

Heinrich II. war durch die Übergabe der hl. Lanze durch Eb. Willigis von Mainz unmittelbar vor der eigentlichen Krönung zum König des Reiches eingesetzt und bestätigt worden, da ihm aufgrund politischer Spannungen mit Heribert von Köln die In-Besitz-Name des Throns Karls des Großen in Aachen verwehrt war. Ein weiteres Mal wurde ihm in Merseburg im Rahmen einer Huldigung durch die Sachsen von Bernward von Hildesheim nicht das Reichsschwert, sondern diese Lanze überreicht.* Das sollte sich zwar nicht zu einem dauerhaften Bestandteil des Krönungszeremoniells verdichten, jedoch begann Heinrich II. noch im selben Jahr, 1002, Reichslehen, Land, mit eben dem Zeichen einer einfachen Lanze (mit einem Wimpel daran / „Fahnenlehen“) zu vergeben, so wie ihm das ganze Reich, verdinglicht in der hl. Lanze, zeremoniell übergeben worden war.*

*) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 505.

**) SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 506.

In Frankreich kennt die Legende schon früh eine Lanze des Longinus, des römischen Offiziers, der nach dem Bericht des apokryphen Nikodemusevangeliums mit seiner Lanze Jesus am Kreuz die Seite geöffnet haben soll und ausweislich der Evangelien nach Matthäus und Markus die Gottessohnschaft Jesu bezeugt hat. Diese hatte – nach der literarischen Überlieferung des Rolandsliedes – Karl der Große in sein Schwert Joyeuse einfügen lassen. Dieses Schwert sollen die französischen Könige noch im 12. und 13. Jahrhundert geführt haben – so daß hier die Capetinger mit dem Karlsschwert und der darin eingefügten Lanze des Longinus in Konkurrenz traten zu den deutschen Königen mit ihrer Lanze des hl. Mauritius mit dem Nagel der Kreuzigung darin – beide sowohl als Herrschaftszeichen als auch als mit Christus verbundener Reliquie von unschätzbarem Wert.*

*) vgl. SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 524 f.

Eine farbige Abbildung stand in der Wiener Zeitung 5.3.2015 und 28.5.2017.

An der schwächsten Stelle gebrochen, muss die Lanze schon früh mit einer Hülse umgeben worden sein. Diese muss mehr der Reparatur als einer Auszeichnung gedient haben, wurde sie doch ursprünglich nicht mit einer Inschrift versehen. So sieht man es jedenfalls an der Krakauer Replik, woraus sich überdies schließen lässt, daß sie bereits um 1000 vorhanden gewesen sein muss. Dabei wurde sie wohlweislich so angebracht, daß sie den Nagel sichtbar lies. Nach der Mitte des 11. Jahrhunderts ist dann expressis verbis von der "Lanze des hl. Mauritius" die Rede* – insbesondere inschriftlich an der Lanze selbst: Heinrich IV (reg. 1056 – 1106) ließ sie erneut mit einer Hülse umfangen, dieses Mal aus Silber und mit umlaufendem vergoldeten Band zur Aufnahme der Inschrift: … hoc argentum iussit fabricari ad confirmationem clavi Domini et lancee sancti Mauricii. (… hat diese silberne Hülse anfertigen lassen zur Sicherung des Nagels des Herren und der Lanze des hl. Mauritius) und schließt mit einer nochmaligen Anrufung Sanctus Mauricius, so wie der Text der Inschrift mit einer Anrufung an den heiligen Nagel beginnt Calvus dominicus.** Diese "Reparatur" hat eine andere Bedeutung als die erste, sollte doch offensichtlich mit ihr die Herkunft der Lanze aus der Hand des heiligen, idealen Kriegers Mauritius gesichert werden – und offengelassen sein, ob nicht der Nagel (legendarisch) schon zu Zeiten des Heiligen Bestandteil seiner Lanze gewesen sein mag. –– Auch der Gegenkönig (Rudolf 1077 – 1080) bediente sich einer Lanze, die dem Herzog von Böhmen in die Hände fiel, denn auch dort versicherte man sich gerne der Wirkmächtigkeit einer „heiligen“ Lanze.

*) Zur Überlieferung im sog. „Salischen Kaiserorde“ s. SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 513.

**) Heinrich IV., der dritte salische Herrscher auf dem Reichsthron war zugleich der dritte Herrscher des inzwischen als "heilig" bezeichneten römischen Reiches, der den Beinamen Augustus trug, worauf in seiner Nennung rekurriert wird: Heinricus Dei gratia tercius Romanorum imperator augustus (a.a.O.); vgl. auch: HOFMEISTER, Adolf: Die heilige Lanze, ein Abzeichen des alten Reichs. Breslau 1908 (Reprint Aalen 1973); S. 66.

Die Hl. Lanze befand sich wie der ganze Reichshort lange da, wo sich der Herrscher aufhielt. Sie wurde ihm zum Zeichen seines Anspruchs und seiner Stärke voraus getragen; sie wurde zum Zeichen des Sieges mit in die Schlacht genommen. Als Bischof Heribert von Köln den Leichnam Ottos III., der an den Folgen eines Aufstands in Rom gestorben war (1002), an den Krönungsort, nach Aachen, zurückführte, schickte er die Lanze voraus. Aber weder diese, noch die anderen Reichskleinodien wollte er dem bayerischen Herzog Heinrich IV. – der spätere König und Kaiser Heinrich II. – übergeben, um sich einen Einfluss auf die Königswahl zu sichern, was ihm, nachdem Heinrich ihm dies alles abgenommen hatte, schlussendlich nicht mehr gelingen konnte. Mehrfach in der Geschichte wurde versucht, die Reichsinsignien zurückzuhalten oder zu rauben, um des politischen Einflusses willen.

Unter den Staufern wurden die Reichskleinodien erstmals, jedenfalls zeitweise, an dauerhaftem Ort, auf der Burg Trifels (am Rhein) untergebracht.* Der erste Habsburger auf dem Reichsthron, Rudolf (Kg. seit 1273) ließ sie auf die Kyburg (in der Nähe von Winterthur) bringen, von wo sie erst der Wittelsbacher Ludwig IV. in seinen Besitz und an einen anderen Ort brachte. Später, nach dem Tod Ludwigs IV., des Bayern (1347) werden die Wittelsbacher ihrerseits versuchen, die Reichskleinodien nicht „herauszurücken“.** Nach Stationen in Nürnberg 1323 und Regensburg 1324 sollten sie dauerhaft am Stammsitz der Oberbayerischen Teillinie, der Ludwig entstammte, im Alten Hof in München, bleiben. Sie lagen dort bis 1352. Der Luxemburger Karl IV., 1346 erwählt, wird unmittelbar nach dem Tod des Widersachers 1347 als König anerkannt, und errichtet, als er sie fünf Jahre später bekommt, für die Reichskleinodien mit der Burg Karlstein bald eine eigens dem Zweck der würdigen Aufbewahrung dienende Burganlage.*** Der Umgang mit dem Kaiserhort ist nun ein anderer: Eine Tagesreise von Prag entfernt, besucht Karl IV. die Reichskleinodien, um sie zu verehren. Sowohl in den Einzelstücken als auch in ihrer Gesamtheit stellen sie nun den ranghöchsten Reliquienschatz neben den vielen, von Karl gesammelten Reliquien dar. Karl betet häufig in der obersten Kapelle am Ort ihrer Aufbewahrung, zu der der Weg durch mehrere andere, geweihte Sakralräume führt.

*) Übersicht über die Aufbewahrungsorte in: SCHAUERTE, Thomas: Aufbewahrungsorte der Reichskleinodien (Katalogbeitrag) S. 160 f. in: HEINEMANN (Hg.), Kaiser – Reich – Stadt (2013).

**) FAJT, HÖRSCH (Hg.), Karl IV. (2016)

***) FAJT, Iiri; HÖRSCH, Markus (Hg.): Kaiser Karl IV. 1316 – 2016 (Ausstellungskatalog) Prag 2016; Abb. S. 102

Zwar hatte bereits Papst Gregor IX. in einem Brief an den Staufer Friedrich II. 1227 die Lanze als diejenige bezeichnet, mit der Jesus die Seite geöffnet worden war*, aber erst jetzt wird sie dezidiert zur Lanze des Longinus, indem Karl IV., für dessen Regentschaft der Glanz des Heiligen essentiell war**, dies inschriftlich an der Lanze vermerken lässt. Sie bekommt nun über der alten Reparaturstelle und der silbernen eine goldene Manschette, auf der mittig, in gestürzter Zeile in repräsentativer Textura steht: + LANCEA ET CLAVVS · DOMINI (Lanze und Nagel des Herren).*** Diese Verehrung hatte jetzt den praktische Umgang mit der Lanze, wie das Mitführen in einer Schlacht oder das zeremonielle Vorantragen, abgelöst. Karl IV. trieb dies auf die Spitze, indem er bei Papst Innozenz VI. das Fest der Heiligen Lanze und der Nägel durchsetzte, das 1354 erstmals, zunächst in der Erzdiözese Prag und bald im ganzen Reich, begangen wurde.**** Die Reliquien wurden nun in Heiltumsschauen den begeisterten Menschen präsentiert.

*) HOFMEISTER, Lanze (1908 / 1973); S. 78 f. (m. Quelle Anm. 3) – für den Zusammenhang des Briefes vgl. SCHRAMM, Herrschaftszeichen II (1955); S. 517, Anm. 2.

**) BAUCH, Martin: Der fromme Herrscher – Heiligenverehrung und ostentative Religiosität als Mittel zur Machtfestigung und Herrschaftslegitimierung S. 79–85 in: FAJT, HÖRSCH (Hg.), Karl IV. (2016).

***) Abb. in: FAJT, HÖRSCH (Hg.), Karl IV. (2016); S. 182.

****) HOFMEISTER, Lanze (1908 / 1973); S. 80 f., Anm. 3 (mit Quellen)

Der zweite Nachfolger Karls, König Sigismund, überführte die Reichskleinodien 1424 „auf ewige Zeiten“ nach Nürnberg, um sie von den Strömungen der hussitischen Protoreformation zu entfernen. Dort wurden sie bis 1796 in der Kirche des Hl.-Geist-Spitals aufbewahrt, und die Heiltumsschauen bis zur letzten, großen zur Zeit des Reichstags 1523 fortgeführt.

Ihre politische – im Sinne einer staatsrechtlichen – Bedeutung hatte die Lanze (und mit ihr alle Reichskleinodien) bereits verloren, , seit dem man in ihr ausschließlich die „Heilige“ sah. Die spätmittelalterliche, extrovertiert-ostentative Verehrung von Reliquien, die am Ausgang des Mittelalters ausgesprochen sensationelle Züge angenommen hatte, gefiel der Reformation nicht. Keine der Kirchen der Reformation kennt heilige Gegenstände, oder Teile heiliger Leiber, so daß auch diese Reliquienverehrung mit Annahme der Reformation in Nürnberg 1525 sogleich erlosch. –– Die politische Symbolik kommt jedoch spät, am Ende des Alten Reiches, noch einmal zum Tragen, als Franz II. den gesamten Bestand über eine Stationen in Regensburg in die, in seine Hofburg nach Wien überführen ließ, weil er befürchtete, Napoleon könnte, kämen die Dinge in seine Hand, Anspruch auf den römisch-deutschen Kaisertitel erheben.

Epilog

Zwar handelt es sich bei der Rückführung der mittelalterlichen Insignien auf persönlichen Wunsch Adolf Hitlers 1938 nach Nürnberg (1945 restituiert) nur um eine Episode, jedoch wurde hier ein letztes Mal – wenn auch in missbräuchlich-schriller Verquerung – auf die alte Symbolik der Herrscherlegitimation durch die Reichskleinodien rekurriert. –– Heutzutage werden sie in Wien in der Weltlichen Schatzkammer der Hofburg als kostbare Zeugen der Geschichte präsentiert.

Die Niederlage

Zwinglis Waffen

Renward Cysat (1575–1614), Stadtschreiber und Gesandter Luzerns, zugleich Privatsekretär des sog. „Schweizerkönigs“ Ludwig Pfyffer (1524–1594), des Schultheißen von Luzern, erwähnt vor / um 1600 als Bewaffnung, mit der Zwingli in den 2. Kappeler Krieg 1531 zog: „Zwinglin … welcher [mitt] einem ysenhut uff dem Kopff, Syttenwör und halbareten bewaffnet gewesen …“ * einen Eisenhut, eine Art leichter Helm für einen Fußsoldaten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts; einen sog. Schweizerdegen, ein an der Seite getragenes Kurzschwert von ca. 60 cm Länge, und einer Halbarte, mit einem messerartigen, spitz zulaufenden Eisen an langer Stange; in der Geschichte auch als Sempacherhalbarte** bezeichnet.***

 

Die erste Erwähnung von angeblich von Zwingli getragenen und dann erbeuteten Waffen, nunmehr im Zeughaus von Luzern, verzeichnet das Inventar von 1605 mit: „Zwinglins Isenhuott und Fusthammer“****, mit Eisenhut und Fausthammer, richtig wohl „Fauststreitaxt“.***** Seit 1569 diente der zweite, bis heute als Museum bestehende Steinbau des Luzerner Zeughauses *** *** als Ort der Aufbewahrung militärischer Memorabilien, jedoch erwähnen ältere Inventare des späten 16. Jahrhunderts und auch eine Aufstellung militärischer Erinnerungsstücke aus dem Alten Rathaus von 1599, die zunächst ins Neue Rathaus und schließlich auch ins Zeughaus überführt werden sollten, nichts dergleichen.*** ****

Es ist offensichtlich, daß die in der Reformationszeit dezidiert altkirchlich gebliebenen Luzerner, die zusammen mit ihren innerschweizer Verbündeten in der Schlacht bei Kappel am 11. Oktober 1531 (und folgend am 24. Oktober auf dem Gubel) gesiegt hatten, nunmehr Waffen – als Beute – des in der Schlacht gefallenen Reformators, dieses falschen profeten vnd betruegers (Cysat), „haben“ wollten. Bereits zwei Jahre später gibt es Belege für eine inszenierte Aufstellung der im Zeughaus präsentierten Waffen **** ****, deren spiritus rector wahrscheinlich Renward Cysat war.**** *****

*) MEIER, Jürg A.; BASCHUNG, Adrian: Zwinglis Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, Adrian; FUHRER, Hans Rudolf; MEIER, Jürg A.: Der Tod des Reformators – Zwinglis Waffen (= FUHRER, Hans Rudolf (Hg.): Geschichte der Schweiz. Fenster in die Vergangenheit IX + X (=Schweizerische Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen Heft 41); zit. nach: S. 82.

**) Eine Bezeichnung, die in Luzern entstanden sein muss, rekurrierte man doch zeitgleich mit dem „Aufkommen“ von Zwinglis Waffen auf die Schlacht bei Sempach 1386, in der die Eidgenossen Habsburg-Österreich so schwächten, daß diese ihre Herrschaftsposition am Hochrhein weder ausbauen noch in der Folge halten konnten; vgl. FUHRER, Hans Rudolf: Der Tod des Reformators S. 11–75 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 49 f.

***) Abb. einer Waffe dieser Art bei: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 84; zur Beschreibung vgl. S.110.

****) nach MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 84 (m. Abb. des Eintrags).

*****) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 84 und 89 (Definition).

*** ***) REINLE, Adolf (Bearb.): Die Stadt Luzern II. Basel 1954 (= Kunstdenkmäler des Kantons Luzern III); S. 52 f.

*** ****) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 83, auch S. 114.

**** ****) vgl. MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 85.

**** *****) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 114.

Die Zeitgenossen Zwinglis waren vergleichsweise wenig an seinen Waffen interessiert. Ihnen war die schwere Verwundung, die den Reformator nicht widerrufen und beichten ließ, und daß er, zunächst nicht erkannt, daraufhin von einem Innerschweizer mit einem Schwerthieb erschlagen wurde, wichtiger: … schaffet jnne mitt einem tödlichen schwertschlag vollends ab der wellt in das Rych, das jme und synesglychen bereit ist.* So in etwa beschrieb es Hans Salat (1498–1561)** in seiner Chronik der Jahre 1517 – 1534, der einzigen umfassenden Darstellung der Reformationszeit in der Schweiz aus katholischer Sicht.*** Einer von Zwinglis Mitstreitern, Bernhard Wyss (1463–1531), der in derselben Schlacht den Tod fand, betonte, Zwingli habe beim Auszug zur ersten Kappeler Schlacht 1529 ein hübsch halparten uf der achßlen [fürt] und zog man gen Capel.**** Brennwald und Stumpf berichten in ihrer Schweizerchronik von 1535: Vnd als Huldrich Zwingli Im dritten glyd vnder den zürchern (mit eyner halbarten strijttende) zu Boden gestochen (eingefügt: vnd geworffen) ward da …… in aller nodt.***** Aegidius Tschudi (1505–1572)*** ***, der die Geschichte des verweigerten Widerrufs nicht kennt, beschreibt, man habe den noch Lebenden in Wut, ihn als Zwingli erkannt zu haben: und stach in gächem zorn die hallbarten in inne, dasz er von stund an starb.*** ****

*) zit. nach MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019): S. 81.

**) wörtliches Zitat a.a.O. S. 81.

***) zur Einschätzung vgl. JÖRG, Ruth: Salat, Johannes (Namenseintrag) in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.02.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009548/2011-02-04/

****) Zit. nach: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 81 – Hierzu gibt es keine Historiendarstellung.

*****) ZBZ Ms A 2 [Schweizerchronik bis zum Jahre 1534] Das Nündte Buch 1531. Bubickon 1545; pag. 619.

*** ***) zur Person: SIEBER, Christian: Tschudi, Aegidius in: HLS – URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12354.php

*** ****) zit. nach: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 43

Renward Cysat (1545–1614) ergänzte um 1600 die von Salat übernommene Beschreibung der Todesumstände Zwinglis, die nichts von Zwinglis Waffen weiß, noch um die Angaben eines Eisenhuts und der Halbarte, die ein Luzerner zur gedächtnuß mitgenommen habe, der ysenhut ward folgends jn der statt Lucern Züghuß uffbehalten, (…) Die halbarten ward Herrn Heinrich Fleckenstein (…), nachmals Schulthaißen dieser statt, so ouch an dem treffen gewesen, überantwort.* –– Anlässlich des Religionsgesprächs in Marburg 1529 beschrieb ein dortiger Zeitgenosse ein von Zwingli getragenes, leichtes, kurzes Schwert als eine Wehre ellenlangk, so man fuor zeiten einen Hessen hies.** Nur einmal gibt es eine vollständige Beschreibung, die jedoch in ihrer Kürze: armatus more nostro (Zwinglis Mitarbeiter und Freund Oswald Myconius) den Zeitgenossen selbstverständlich war, für uns heutige jedoch nur auf Umwegen aufzuschlüsseln ist. Der Militärhistoriker unserer Tage erschließt, daß es Eisenhut, leichter Brust- und Rückenharnisch, wahrscheinlich mit Panzerhemd und / oder Lederschutz, wohl auch Handschuhe, und dem kurzen Schweizerdegen bestand, da die Halbarte große Beweglichkeit von ihrem Träger verlangt.***

*) zit. nach: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 81.

**) zit. nach: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S.85.
Möglicherweise handelte es sich dabei um das ihm auf dem Hinweg nach Marburg in Straßburg geschenkte Schwert; vgl. STROHM, Christoph: Ausstrahlungen der Zürcher Reformation auf den Südwesten des Reichs. S. 437–456 in: ALBISSER, Ariane; OPITZ, Peter: Die Zürcher Reformation in Europa. Beiträge der Tagung des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte 2019. Zürich 2021; S. 442.

***) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 82 (hier auch das Zitat nach Myconius).

„Spektakulär“ sind hiervon die Halbarte, schon weniger der Helm und das Kurzschwert. Von den chronikalischen Erwähnungen (zeitgenössisch und durch Cysat um 1600) ist nur der Eisenhut (der Helm) deckungsgleich mit dem Inventareintrag des Luzerner Zeughauses von 1605. Das wird sich auch durch die zusätzliche Erwähnung eines Schwerts, wohl eines Langschwerts, erstmals im Inventar von 1615*, nicht ändern.

*) zum Eintrag vgl. MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 85.

Heute trägt der Helm eine Namensätzung in einer kräftigen barocken Fraktur Vllrich Zwingli. Diese wäre rein stilistisch in die Zeit vor 1700 zu datieren, was sich mit einem Eintrag im Zeughaus-Verzeichnis von 1680 zu einer auffallend stimmigen Einheit fügt: Ulrich Zwinglisß Ysenhuot.* Damit war der Helm nicht mehr nur in der Zusammenstellung mit fusthammer und schwärt dem Reformator zugeordnet, den erschlagen, und dessen Lehre Einhalt geboten zu haben, so konstitutiv für das Selbstverständnis Luzerns in der Frühen Neuzeit war. Er war nun, nachdem im Laufe der Jahrzehnte viele, möglicherweise gleichartige Eisenhüte aus dem Zeughaus entfernt worden sind, Zwinglis Eisenhut „eigenen Rechts“ und wies nun die beiden anderen, zusammen mit diesem im Zeughaus dekorierten Waffen als Zwinglis Waffen aus – gleich, welche Beschriftung es gegeben haben mag, und was man internationalen Besuchern des Zeughauses über die Bestände, und ihrer Herkunft aus glorreicher Vergangenheit berichtete.

*) a.a.O. S. 86.

Die symbolische Aufladung dieses Ensembles hatte seine erste Erhöhung schon dadurch bekommen, daß man zehn Jahre nach ihrem ersten „Nachweis“ im Zeughaus 1605, im Verzeichnis von 1615 ein (großes) Schwert hinzufügte und zusammen mit Helm und Fauststreitaxt präsentierte: Des Zwinglins Jsenhuott und Fusthammer und sin Schwert.*

*) zit. nach: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 85 – Die Genese der Zeughaus-Inventareinträge im Einzelnen vgl. BASCHUNG, Adrian: Kommentar zum Schwert S. 116 – 123 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 117.

An dieser Stelle sei ein Vorgriff auf das mächtige Zwingli-Denkmal, 1885 vor dem Chor der Wasserkirche enthüllt, das Zwingli mit dem Blick nach Südosten, Richtung Albis und weiter Richtung Innerschweiz, und mit einem mächtigen, auf die Spitze gestellten Schwert in seiner Linken zeigt, gestattet. Es handelt sich um einen Bronzeguss nach Entwurf des österreichischen Bildhauers Heinrich Natter (1844–1892), der zahlreiche „heroische“ Denkmale historischer und literarischer Größen, wie dem Andreas-Hofer-Denkmal auf dem Bergisel bei Innsbruck, einem Standbild des letzten hessischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I., oder als Parkskulpturen Wotan und Brunhilde geschaffen hat. Wenig später, 1890, werden die Zwingliwaffen – zum 400. Reformationsjubiläum 1519–1819 um ein weiteres Stück, einem Schweizersäbel,* vermehrt** und seit 1848 in Zürich im Zeughaus in Gassen, später in Aussersihl ausgestellt – ein wesentliches (!) Argument zur Errichtung eines Landesmuseums in Zürich abgeben, nach wohin sie im Jahr der Eröffnung 1898 transferiert wurden und zu dessen Gründungsbestand sie gehören.*** Je länger in die Geschichte zurückgeschaut wurde, desto selbstverständlicher wird die Vorstellung – und das Bild, das man sich macht – von Zwingli als einem bewaffneten Mann, dem aus der Sicht der Zürcher der ideelle Sieg, nämlich die Reformation Zürcher Prägung grundgelegt zu haben, gebührt.

*) Darstellung von 1819: S. 94, vgl. mit Abb. 13, einer Spätform des sog. Schweizersäbels; S. 96 – Es handelt sich offenbar um eine Reminiszenz an den Schweizerdegen, von dem in anderem Zusammenhang (einen Hessen) sicher überliefert ist, daß Zwingli ihn trug.

**) Der „Fausthammer“ (= Fauststreitaxt) wurde zwischen dem Ende des Ancien Regime und dem Jubiläum von 1819 durch eine Streitaxt abgelöst; auf der Abb. die mit dem „Kopf“ nach rechts geneigte Waffe; S. 105; Abb. S. 94.

***) „Morgengabe“: MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 118.

1819, zum 300. Reformationsjubiläum, wurde eine mit acht Stahlstichen reich illustrierte Lebensbeschreibung des Schweizerischen Reformators Ulrich Zwingli herausgebracht, mit der erstmals im Bild in Zürich die vermeintlichen Waffen Zwinglis allgemein bekannt wurden.* Aus dem Fausthammer (= Fauststreitaxt) war nun eine Stangenbüchse mit dem angesetzten Blatt eines Beils geworden.** Das sind die Objekte, deren Restitution Zürich nach dem für Luzern verlorenen Sonderbundskrieg 1847 verlangte, und dem gleich zu Beginn des folgenden Jahres stattgegeben wurde.*** Die Waffen, nun nicht mehr Zeichen fortwährender Demütigung des Besiegten, sondern heroisches Symbol für den Gründervater der Zürcher, seinerzeit verstanden als  d e r  Schweizer Reformation, wurden gerne als Gegenstände verstanden, die der Reformator bei seinem letzten Auszug in Händen gehalten hatte. Womit sie soziologisch zu einer Art Berührungsreliquie mutiert, man kann auch sagen: aufgestiegen waren.

*) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 118; Abb. S. 94.

**) zur Genese: a.a.O. S. 96; zwischen 1798 (Plünderung des Luzerner Zeughauses am Ende des Ancien Régime) und 1819 (älteste veröff. Abb. des Ensembles) ersetzt; vgl. a.a.O. S. 105.

***) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 101.

Die Heilige Lanze, für den historischen Mauritius (um 300) zu jung (9. Jh.) hatte eine analoge Steigerung ihrer Symbolkraft insofern erfahren, da auch sie von einer zunächst „einfachen“, weil „nur“ einem Heiligen zugeschriebenen Reliquie, zur Berührungsreliquie gesteigert wurde, nämlich zu einer Berührungsreliquie mit dem Erlöser, da Longinus mit ihr Jesus am Kreuz die Seite geöffnet haben soll. Anders jedoch als die Heilige Lanze, die der Legende nach immer siegreich im Felde (mit–)geführt wurde, und deren Prominenz im Rahmen der Reichskleinodien, je „heiliger“ (Karl IV.) sie wurden, abnahm, mutierten Zwinglis Waffen vom Zeichen der Niederlage zu dem des Sieges und gewinnen – je wolkiger die Überlieferung darüber wird, worum nun genau es sich handelt – mehr an Bedeutung.

Kontinuierlich überliefert ist ausschließlich der Helm. Bereits bei der Präsentation in einem Schrein-artigen Gehäuse, die das bekannte Bild des Waffensaals im Zeughaus Leuenhof-in Gassen, erschienen im Neujahrsblatt der Feuerwerker-Gesellschaft von 1870, festhält.* scheint der Schweizerdegen, das nachträglich ergänzte kurze Schwert in einer Spätform der Mitte des 17. Jahrhunderts,** schon nicht mehr als Zwingliwaffe präsentiert worden zu sein. Es sind der Helm, das Schwert und die spezielle Streitaxt in Ersetzung des fusthamers.*** So hält es auch eine historische Fotografie von 1919, entstanden zum 400. Reformationsjubiläum, fest.*** Das Schwert gilt heute als ein aus verschieden alten Teilen, auch Teilen nicht gesicherter Herkunft zusammengestückeltes Artefakt.*****

*) Abb. S. 102.

**) vgl. Abb. S. 96.

***) vgl. MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 109.

****) FUHRER, Tod S. 11–75 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); Abb. S. 53.

*****) MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 119 – 122.

Seitdem, dass wir ihn im Bild kennen, hat der Eisenhut mit der untypischen, fast rechtwinklig abstehenden, gesondert angesetzten Krempe* eine schwere Beschädigung, ein Loch, das sich mit einem tiefen Riss bis in die Rundung der Helmglocke fortsetzt. Es gilt inzwischen als nachgewiesen, dass diese Beschädigung erst während oder nach der Plünderung des Luzerner Zeughauses am 29. April 1798 entstanden ist. Entweder wurde der Helm im Rahmen dieser gewaltsamen Aktion beschädigt oder durch eine bald erfolgte unsachgemäße Reparatur an den Nietungen der Krempe.** Das 19. Jahrhundert sah in der Beschädigung jedoch wahrscheinlich – gleichsam als Ausweis der Dignität des Ysenhut – die Stelle, durch die Zwingli den ersten schweren Schlag erhielt, bevor er*** vollends erschlagen wurde:

*) Helmglocke und Krempe waren in der Regel aus einem Stück geschmiedet, wobei die Krempe deutlich abfallend gestaltet war, damit ein etwaiger Schlag abrutschen konnte und nicht den Helm anhob. Vgl. MEIER, BASCHUNG, Waffen. S. 77–125 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 110; Abb. 25 – S. 112 zeigt einen originalen Eisenhuts vom Ende des 15. Jahrhunderts.

**) Nach einer jüngst erfolgten Untersuchung des Forensischen Instituts der Kantonspolizei und der Stadtpolizei Zürich; vgl. a.a.O. S. 115.

***) bevor er, als man ihn erkannte, erschlagen ...: in dieser Reihenfolge in der Überlieferung seit Cysat stilisiert. (vgl. oben); nach Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte erkannte man erst den Toten durch Befragung Gefangener unter den Leichen auf dem Schlachtfeld; vgl. Bullinger (Ed.) Bd. 3; S. 166.

Zwinglis Tod aus: Oswald Schön, Schweizergeschichte in Bildern, Bern: Dalp 1872

… und da das Kriegsglück endlich für die Feinde entschied, und ihre Uebermacht die Züricher zur Flucht zwang, blieb Zwingli (als) einer der letzten auf der Wahlstatt, als aber auch er endlich vor dem nachjagenden Schwerdt des Feindes zu fliehen gedrungen und auf der Flucht von einem nach ihm geschleuderten Stein zu Boden geworfen ward, erhob er sich wieder auf seine Knie und sagte. »Welch Unglück ist denn das! Den Leib können sie wohl, aber die Seele nicht tödten.« Allein bald sank er ermüdet rücklings zur Erde nieder und da er in dieser Lage von einigen plündernden Feinden gefragt wurde: ob er einem Priester beichten wolle? und dieß Anerbieten von ihm mit einer Bewegung des Hauptes ausgeschlagen ward, empfieng er einen tödtlichen Stich und verschied bald (Neujahrsblatt ab der Chorherren 1791)

Gleich am Anfange des Kampfes sank Zwingli, von einem Steine getroffen, richtete sich aber wieder auf; zum zweyten Mahle von einem Speere verwundet, konnte er nicht weiter fortkommen, und rief: »Welch´ ein Unglück ist denn das? den Leib können sie wohl tödten, aber die Seel nicht!« Unter den Erschlagenen blieb er bethend liegen; plünderne Feinde, die ihn nicht kannten, fragten ihn, ob er beichten wolle? (…) Auf seine wiederholte Weigerung fluchten sie dem verstockten Ketzer, und erstachen ihn. (Aufzählung weiterer Gefallener in der Schlacht)“ (Neujahrsblatt ab der Chorherren 1819)

Bernhard Sprüngli hält in seiner am 29. Dezember 1532 abgeschlossenen Studie zu den Kappeler Kriegen zu Zwinglis Tod am 11. Oktober 1531 fest: Als die 5 orth den wolgelerten, frommen und getrüwen predicanten meister Ulrichen Zwingly, (…) uff der waldstatt erschlagen gefunden, hand sy ein unußsprechliche fröud darob empfangen.* Es handelt sich hierbei um die älteste historiographische Notiz zu Zwinglis Tod auf dem Schlachtfeld.

*) zit. nach: FUHRER, Tod S. 11–75 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 31.

In der älteren Chronistik findet man ihn anfänglich tot auf dem Schlachtfeld (Sprüngli „einfach“ gefunden; bei Brennwald und Stumpf nach Ausforschungen bei gefangenen Zürchern), oder man findet den Schwerstverletzten, und sticht ihn, als man ihn erkennt am/ unter dem Kinn tot (Myconius -ref.- / Salat und Tschudi -kath.-) oder man erschlägt ihn mit einem Schwert vollends (Heinrich Bullinger etwa 40 Jahre nach den Ereignissen).

Beide Beschreibungen der Neujahrsblätter rezipieren ältere Motive der Beschreibung der Todesumstände*; das von 1819 mehr und ausführlicher, als die ältere Beschreibung von 1791. Und betonen erstmals in der schriftlichen Überlieferung den Steinwurf, der Zwingli zuerst getroffen habe, bevor der Verwundete (mit welcher Bei-Geschichte auch immer) getötet wurde.

Beide Beschreibungen der Neujahrsblätter rekurrieren auf das bibel-artige Zitat, daß Oswald Myconius, der enge Vertraute und erster Biograph Zwinglis (1536), diesem nach Matthäus 10,28 in den Mund legte: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Hier – und nicht durch die Symbolik der Waffe, bzw. der als Reliquie verstandenen Waffen – kommt das ideengeschichtliche Motiv des “Heiligen“ in seiner höchsten Vollendung als dem durch das Wort der Bibel Geheiligten ins Spiel.

*) detailliert, in ihrer Chronologie und Verschränkung bei: FUHRER, Tod S. 11–75 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 30 – 54 (Kap.: Zwinglis Tod in den Quellen).

**) vgl. HEBEISEN, Erika: „Zwinglis Waffen“. Von katholischen Trophäen zu reformierten Reliquien. S. 106–111 in: NIEDERHÄUSER, Peter; SCHMID, Regula (Hg.): Querblicke. Zürcher Reformationsgeschichten. Zürich 2019 (=Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich Bd.86 (183. Nweujahrsblatt) – Das Religionsgespräch zur Beilegung der unterschiedlichen Abendmahlsauffassungen zwischen den verschiedenen Strömungen der Reformation fand in Marburg, nicht in Magdeburg (sic) statt (S. 108).

13. Neujahrsblatt An die sittsame und lernensbegierige Züricherische Jugend. Auf das Neujahr 1791. Von der Gesellschaft der Herren Gelehrten auf der Chorherren. Signiert: M.Usteri nach Bullingers Erzählung gezeichnet. – Schellenberg sculp.

Epilog

Von 1948 bis zur Neugestaltung 2019 waren nur noch Helm und Schwert als Zwingliwaffen in der ständigen Ausstellung im Schweizer Nationalmuseum ausgestellt; die „schiessende Streitaxt“ war, wie schon bei der letzten Nennung der Zwingliwaffen als authentische in der wissenschaftlichen Literatur 1981, nicht mehr dabei.*

Inzwischen war der Helm aus Anlass der 450jährigen Jubiläums des Alten Zeughauses Luzern – seit 1982 Historisches Museum – 2019/ 20 im Rahmen der Ausstellung „Rocky Docky – 450 Jahre Altes Zeughaus Luzern“ als Leihgabe wieder an den Ort seiner „Erfindung“ zurückgekehrt. –– Einen prominenten Platz im Schweizer Nationalmuseum haben „Zwinglis Waffen“ nun nicht mehr.

*) MEIER, Kap. Fazit S. 124 in: BASCHUNG, FUHRER, MEIER, Tod – Waffen (2019); S. 124.