Frau Minne — Frau Welt
Frau Minne — Dame Amour — Venus
Sebastian Brant, »Narrenschiff« (1494), Kap.13

Von buolschafft
An mynem seyl ich draffter° yeich°°
Vil narren / affen / esel / geüch°°°
Die ich verfűr betrüg vnd leych°°°°
Aus dem nützlichen Kommentar von Friedrich Zarncke (Hg.), Sebastian Brant. Narrenschiff, Leipzig 1854, S. 321ff.: draffter = hin und her — °° yeich = ich jage — °°° geüch: gouch = eigentlich Kuckuck; übertragen: Buhler, Narr, hier Plural — °°°° leych = betrüge ich, führe ich hinters Licht. Der ganze Text hier
Das Bild zeigt Frow Venus geflügelt; das ist in der Ikonographie ungewöhnlich; die Flügel kommen in der Regel Eros zu. Hinter ihr lauert grinsend der Tod. Mit Stricken hat sie zwei (an ihren Kappen erkennbare) Narren und einen (an der Tonsur erkennbaren) Mönch gefangen. Ein Esel, ein Affe und ein Kuckuck (?, vor dem Gesicht des Mönchs) befinden sich ebenfalls auf dem Schauplatz. Der mit einer Augenbinde versehene Cupido verschießt einen Pfeil.
Jagd- und Fesselungs-Metaphern für das Erotische haben eine lange Tradition. Die Liebenden verwenden Schlingen, Haken, Leimruten und Pfeile. Meist wird damit die unglückliche Liebe symbolisiert. In den Sprüche Salomonis (Proverbia 7, 23) heißt es, dass der törichte Jüngling der Hure folgt, wie ein Vogel zur Schlinge eilt. In den Carmina Burana lamentiert ein Elender: Ich, einsam, liebe die Einzige, an deren Haken ich gefangen bin (captus sum ab hamo), während sie aber meine Liebe nicht erwidert. Etwas lieblicher tönt es dann bei Klopstock (1753): Im Frühlingsschatten fand ich Sie; | Da band ich Sie mit Rosenbändern; | Sie fühlt es nicht, und schlummerte …
Cupido, des Kind von Venus, ist – so der Text – nackt, weil niemand eine Liebschaft verbergen kann. Im einen Köcher hat er Hakenpfeile mit goldenen Spitzen; wer davon getroffen wird, verliert den Verstand (Wer troffen würt / der kumbt von witz) – im andern stumpfe mit bleiernen Spitzen; diese treiben den Angeschossenen in die Flucht. Die Idee stammt aus Ovids Geschichte von Apollo und Daphne (Metamorphosen I, 466ff.) und wird ebenfalls lange tradiert. In einem Minnegedicht des Wachsmut von Mühlhausen ist es die Dame selbst, deren Augen-Blicke wie Pfeile wirken: diu liehten ougen dîn | eine strâle hânt geschozzen | in daz herze mîn.
Als Beispiele unglückbringender Liebschaften nennt der in der antiken Literatur überaus beschlagene Brant eine lange Reihe antiker und biblischer Gestalten. Fazit: Die bůlschafft ist eym yeden stand | Gantz spœtlich / nærrisch / vnd eyn schand. Denn sie verblendet, verwirrt den Verstand und zieht die Energien vom Eigentlichen, nämlich der Frömmigkeit, ab.
Der Personifikation der Buolschafft werden weitere Figuren und Dinge beigegeben: Cupido als Helfer; Liebes-Toren (mit Attributen gekennzeichnet); metaphorisch zu verstehende Instrumente (Schlingen, Pfeile); zwei als dumm geltende Tiere charakterisieren das ganze Unterfangen; das Skelett deutet an, welche tödliche Konsequenz die Buhlschafften haben können.
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Während der Illustrator der Erstausgabe des »Narrenschiffs« sich an den Text Brants hält und ein Schaf in die Schlinge des Weibs namens Wollust tappen lässt, zeichnet Tobias Stimmer menschliche Narren (gekennzeichnet durch Kappen):

Der L. Narr: Von Wollust.
Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; Aber/ Wie vil andern herrlichen/ Christlichen/ auch nutzlichen Lehre/ Exempeln vnd vermanungen zu einem Ehrbaren vnd Christlichen Leben; Sampt gewisser Schellen abtheilungen/ dardurch eines jeden Standes laster zuerkenen / Weilandt/ Durch den hochgelerte Johan. Geyler in Lateinischer sprach beschrieben. Jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht/ vnnd erstmals im Truck außgangen/ Durch/ Nicolaum Höniger von Tauber Königshoffen, Basel: Heinricpetri 1574.
Thomas Murner (1475–1537) »Geuchmat« (Basel 1519)
Hier befinden sich unter den Narren (gouch) auch hohe kirchliche Würdenträger. Murner spricht im Text aber nur von biblischen und heidnisch-antiken Liebestoren: Alexander und Kandake; Aristotoels und Phyllis; Paris und Helena; David und Batseba: Samson und Dalila; Circe.

Venus gewalt
Ich hab gewalt vnd yetz den nammen
Was man doch sag mir von der schammen
Vnd acht nit was man klagen fiert [führt]
Ich bin die ietz die welt regiert.
> https://www.e-rara.ch/doi/10.3931/e-rara-105483
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00025698/images/
Thomas Murner, Die Geuchmat (1519), hg. von Eduard Fuchs Berlin: de Gruyter 1931 (Thomas Murners deutsche Schriften; Bd. 5 = Kritische Gesamtausgaben elsässischer Schriftsteller des Mittelalters und der Reformationszeit). [4], Verse 468–651.
Niklaus Manuel, genannt Deutsch, (* ca. 1484 in Bern; † 1530), Frau Venus
t
Frau Venus handhabt markante Schlingen, vgl. dazu die Ausführungen hier als PDF
Hans Christoph von Tavel, Dürers "Nemesis" und Manuels "Frau Venus", in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 33/4 (1976), S.85–295. > zak-003_1976_33__376_d.pdf
Michael Egli / Hans Christoph von Tavel / mit Beiträgen von Petra Barton Sigrist: Niklaus Manuel - Catalogue raisonné, hg. vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft und der Burgerbibliothek Bern, Basel: Schwabe 2017 (2 Bände).
Johann von Konstanz (1281 bis 1312 bezeugt), »Minnelehre«
Verse 157–1064: Traumerzählung mit Cupido und Frau Minne

> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg313/0011
Ingeborg Glier, Artes amandi.Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden, (MTU 34) München 1971, S. 84–94.
Codex Dresden 68, hg. Paula Hefti, Bern 1980, S. 223–298 u.d.T. »Cupido deus amoris«.
Dietrich Huschenbett (Hg.): Die Minnelehre des Johann von Konstanz. Nach der Weingartner Liederhandschrift unter Berücksichtigung der übrigen Überlieferung. Reichert, Wiesbaden 2002.
Mehr zum Thema Pfeile hier
Frau Venus und Maria im Traum in Heinrich Wittenwilers »Ring« (1408–1410)
Text: Heinrich Wittenwiler, »Der Ring«, hg. Edmund Wiessner, Leipzig: Reclam 1931 (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Realistik des Spätmittelalters, Band 3); Kommentar Leipzig 1936.
E-Text: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/..../Wittenwiler/wit_rin1.html
dass., mit der Übersetzung von Horst Brunner, (RUB 8749), Stuttgart: Reclam 1991.
dass., herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Werner Röcke, Berlin/Boston 2012.
Der Dorfdoktor Krippekrâ schreibt als Ghostwriter für Mätzli Rüerenzumph einen Brief (Verse 2261 bis 2554) an ihren Verehrer Bertschi Triefnas.
2283 Bericht eines Traums
2288 Erscheinen der Frau Minne
Sie ist nackt und jung; trägt eine gläserne Krone; eine gläserne Krone, darauf steht, sie sei die Junchfraw Venus die Minn; zu einer Kette geflochtenes Haar; sie ist blind; Pfeil und Bogen; fahrend in einem Wagen, dem ein Bach von Blut nachfließt
2307 Venus spricht die Träumende an und gebietet ihr, Bertschi alles zu gewähren.
2323 Ein swartzer geist zur linken Seite bestätigt dies.
2329 Eine andere Frau erscheint
Sie trägt drei Kronen, die ausgelegt werden als vestichait, küschichait, sälichait; die Haare aufgebunden; sie hat vier Augen; vielfarbiger Mantel; ein Kind auf dem Arm; sitzend in einer Kirche auf einem Altar; um die Kirche ein See aus Milch und Honig
2372 Sie spricht die Träumende an: Sie solle dem Geliebten einzig in die Ehe folgen;
Das bestätigen das Kindlein und ein weisser gaist zur Rechten Seite.
2397 Mätzli schreibt, sie sei dann erwacht und habe den Beichtiger um Bescheid gebeten.
2407 Die erste Frau deutet er als Fro Venus.
Deutung (vereinfachter Text):
Er sprach: Wir mügen schauwen Daz pei der ersten frawen Und dunckt mich auch in meinem sinn: Si ist die falsch, betrogen minn, Fro Venus mit irm bösen rat, Die oft ein sel verdampnet hat. Gen zwaintzich jaren hast si gzelt: Si ist noch elter dann die welt; Doch zaigt si sich pei jungen tagen: Die minn die wil nicht alter haben. Nakent, sprichst du, daz sei wär: Daz chan nicht wesen an gevär [nicht zufällig]; Die minn die wil, daz schoss ze schoss Sich zemen füegin also bloss. Die glesin chron, die si da trait, Und die gschrift dar an gelait Daz mag uns nicht betüten mer Dann üpig fröd, zergäncleich er. Ir har gestrichen also leis, Geflochten in einr ketten weis, Ist nicht anders dann ein strik, Der uns leib und sel verschlik. Ist si an den augen plind, Daz beteut, sam ich es vind, Daz oft ein schönes mensch von art Minnet einen grausen part. An den gepärden ist si ring [hastig]; Daz ist daz, das ich do sing: Die minner habend wilden muot; Was sú tuond, das dunkt sú guot. Den pogen füert si in der hand Mit der stral durch ällú land: Da schúst sei jungeu hertzen mit Zuo irer ersten angesicht. Daz pheil ist scharff und heiss ze vil, Won si schürphen, brennen wil. Sitzt si dann in einem wagen Mit reichem gsmid al durch beschlagen, Da pei sich mein hertz versicht: Der minner schaft an phenning nicht. Der blüetent bach rint aus den wunden, Die da geschehent ze den stunden, So der minner umb einn schaden
Wirt gestochen und geschlagen.
Der schwarze Geist ist ein böser Engel.
2455 Der Beichtiger rät, dem nicht zu folgen; dann legt der die zweite Figur aus:
2470 (u.a.) die vier Augen bedeuten vier Räte (Feindesliebe – Ehe, wenn es sonst nicht auszuhalten – Besitz verkaufen – Toleranz); das Kind ist natürlich JHS; der Altar bedeutet den Glauben usw.
Der Beichtiger beschließt den Brief mit einer Anspielung auf das Glücksrad.
Eckart Conrad Lutz, Spiritualis Fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein »Ring«, Sigmaringen 1990, S. 227–255.
Johannes Herold (1514–1567), »Heydenweldt«
Im »Poeticon Astronomicon« des Hygin (64 vor – 17 nach Chr.) gibt es Darstellungen der Götter in Wagen (Erstdruck Ratoldt Venedig 1482); hier ein Bildchen aus Johannes Herold (1514–1567), Heydenweldt vnd irer Götter anfängklicher vrsprung, ... Basel: Henrich Petri, 1554; darin: Von den Heydnischen göttern/ vnnd irer vermeynten macht/ darumben sye bey den Alten verehret, Das fünnft Buch: Venus [unpaginiert].

Hier ist Amor mit Augenbinde und Pfeil und Bogen dargestellt. Im Text steht über Venus: Etwa stath sie auff einer Mörschnecken [hier als Schildkröte gezeichnet] zuo einem zeichen das ein weybsbild vnd haußhalterin stähts anheyms vnd still sein soll/ oder das die junckfrauwen huot bedörffend. – In Sachsen zuo Magdeburg soll ein tempel dieser Göttin gestanden sein/ die also gestaltet. Nackend fuor sy do här auff dem kärrlin/ jhr haupt was krönt mit Myrten/ an der prust truog sie ein brennende fackel/ inn der rechten hand die kugel der welt/ in der lincken drey guldine öpffel/ nach jren kamen der Holdsäligkeiten mit zusammen gewundnen händen/ prachten jro gaaben/ den karren zogent zwen Schwanen/ vnnd zwo tauben. Der Myrtenbaum ward jro darumben zuogeschribenn/ das er […] zuor buolschafft oder liebe von natur befhilfflich.
Forschungsliteratur:
Walter Blank, Die deutsche Minneallegorie. Gestaltung und Funktion einer mittelalterlichen Dichtungsform, (Germanistische Abhandlungen 34), Stuttgart 1970.
Ingeborg Glier, Artes amandi, (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 34), München 1971.
Rainer Gruenter, Bemerkungen zur Problematik des Allegorischen in der deutschen "Minneallegorie", Euphorion 51, (1957), S. 2-22.
Hermann Kreisselmeier, Der Sturm der Minne auf die Burg. Beiträge zur Interpretation der mittelhochdeutschen Allegorie "Die Minneburg", Meisenheim am Glan 1957.
Clive S. Lewis, The Allegory of Love: A Study in Medieval Tradition, Oxford, 1936 (London 1951).
Heinz-Peter Niewerth, Allegorische Schilderung und allegorische Handlung. Zum Rahmen von Eberhards von Cersne "Der Minne Regel", Diss. Bonn 1973.
Erwin Panofsky, Blind Cupid, in: E.P., Studies in Iconology, New York 1939, S.95-128.
Ulrich Gaier, Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart, Tübingen 1967.
Eckart Conrad Lutz, Spiritualis Fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein »Ring«, Sigmaringen 1990.
Gustav Ehrismann, Untersuchungen über das mittelhochdt. Gedicht von der Minneburg, Halle a. S. 1897.
>
https://archive.org/details/untersuchungenb00ehrigoog
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Frau Welt
Honorius Augustodunensis († ca. 1150)
Speculum ecclesiae, Migne PL 172, 1058B
Legitur quod quidam patrum parvulum filium in heremo nutrierit, quem adultum luxuria titillaverit [kitzelte]. Pater autem jussit eum in heremum secedere et solus jejuniis et orationibus XL diebus vacare. Expletis vers XX diebus vidit tetram et nimis fetidam mulierem nudam super se irruere; cujus fetorem ferre non valens coepit eam a se repellere. At illa: »Cur, inquit, me tantum exhorrescis cujus amore tantum inardescis. Ego enim sum luxuriae imago, quae dulcis in hominum cordibus appareo, et nisi patri tuo obedisses, sicut et alii a me prostratus esses.« Ille vero grates Deo retulit qui eum a spiritu fornicationis eripuit.
»Gesta romanorum«
ed. Oesterley Nr. 202 (App. 6):

In der Übersetzung von Winfrid Trillitzsch (1973): Ein Rittersmann liebte die Welt gar sehr und richtete all sein Trachten darauf, den Menschen zu gefallen; und so hielt ihn seine Weltliebe davon ab, dem Willen Gottes nachzukommen. Eines Tages kam eine bräutliche junge Frau zu ihm und sprach: »Schau mich an und sieh meine Schönheit!« Da der Ritter sie betrachtete und großes Wohlgefallen an ihrem Anblick fand, sagte er zu ihr: »O Herrin, sage mir, wer du bist!« Die Frau antwortete: »Ich bin die Welt, die du so liebst und die dir so schön und süß vorkommt«, und sie sprach weiter: »Betrachte mich von hinten!« Als er sie daraufhin an schaute, erschien sie ihm sehr hässlich, voller Würmer und stinkend wie ein Leichnam; und sie sprach zu dem Ritter: »So wie du mich als bräutliche Frau sahst, anmutig von Angesicht und von rückwärts unansehnlich, so wird es dir auch mit der Welt er gehen, die schrecklich, schmutzig und voller Bitternis ist und dich abhält, dem Willen Gottes nachzufolgen.« Dies sah der Ritter ein, und er sagte der Welt ab; er folgte hinfort mit guten Werken in der Einsamkeit Gott nach und verbrachte die Tage seines Lebens im Dienste des Herrn.
Exemplum der Arundel-Hs 406 (um 1273)
Fuit miles quidam et potens totus mundo deditus qui quadam nocte solus ante castrum suum in virgultum [Gebüsch] plenum deliciis ut melius de mundi pompa et eius gloria recogitare posset, descendit. Unde cum iam dictis super cubitum suum innixus intenderet,
quaedam domina super estimationem humanam formosam et habitu decentissime disposita et ornata se ei presentavit, dicens: »Ecce assum [hier bin ich], quam tanto amore dilexisti, ad me accedas, ut bene prospicias.« Tali confortatus oraculo Dominam speciosissimam prospexit, se beatum reputans quod respectum et affatum [dass sie ihn angeredet hat] talis dominae perfrui meruit.
Cum illa: »sicut inspexisti mea anteriora, te rogo ut diligenter consideres mea posteriora.« Quae cum ad eum convertisset, miles vidit eam plenam vermibus, putridine et immundiciis et fetore [putredo = Fäulnis; immunditia = Unreinlichkeit; foetor = ekliger Gestank] ita quod horror istorum omnem gloriam prius visam superaret. Ad quem illa: »Ego sum gloria mundi. tales sunt fructus mei.« Ad haec verba ymago [die Erscheinung] disparuit et miles emendatus rediit.
zitiert bei: Walther von der Vogelweide, hg. und erklärt von Wilhelm Willmanns, 4.Auflage von Victor Michels, 2.Band: Lieder und Sprüche mit erklärenden Anmerkungen Halle 1924. — Darin: Nr. 74 (Lachmann 100,24ff.) Frou Werlt, ir solt dem wirte sagen … Anmerkung auf S. 353.
Konrad von Würzburg († 1287)
Zusammenfassung von F. H. von der Hagen, in: Gesammtabenteuer Band III (1850), S. 395:
Ihr Weltmänner, höret von einem Ritter, der je nach der Welt Lohne rang. Mit Werken und Worten erwarb er hohe Ehre, daß er zu den besten in Deutschen Landen gezählt wurde. Er war bieder, gut, schön, und mit allen männlichen Tugenden geziert. Er trug sich köstlich, pirschte, beizte und jagte, vergnügte sich am Schach- und Saitenspiel, und wäre über tausend Meilen auf ritterliche Abenteuer geritten, Preis und hoher Minne Sold zu erringen. Er war stäts auf Frauendienst so beflißen, daß alle ihn lobten. Sein Name war Wirent von Gravenberg.
Noch eifrig auf Minne gerichtet, saß er eines Tages im Zimmer und las ein Buch von Minne-Abenteuern, und ergötzte sich an der süßen Rede bis zur Vesperzeit. Da trat ein Weib herein, so minniglich gebildet und geschmückt, daß ihresgleichen nie geboren ward; sie war schöner als Venus und Pallas und alle Göttinnen, die weiland der Minne pflagen. Ihr Antlitz glänzte wie ein Spiegel und erleuchtete den ganzen Palast. Was irgend von schönen Weibern gesagt und gesungen wird, übertraf sie weit. Ihr Gewand und ihre Krone waren über allen Preis köstlich.
Vor ihrer wundervollen Erscheinung erschrack und erblich Herr Wirent, sprang auf, empfieng sie höflich und ertheilte ihr den Preis der Schönheit. Sie dankte und hieß ihn unerschrocken sein: sie sei eben die Frau, welcher er bisher gedient, oft Leib und Seele für sie gewagt, stäts höflich und hochgemuth gewesen, alles Gute von ihr gesagt und gesungen, in ihrem Dienst wie ein Maienreis geblüht, und den Ehrenkranz getragen, als ein auserlesener Ritter. Sie sei nun gekommen, ihm ihre ganze Schönheit und ihren Lohn zu offenbaren. Der junge Ritter verwunderte sich, und sagte, er erinnere sich nicht, sie gesehen und ihr gedient zu haben: weil sie ihn aber darauf anspreche, wolle er mit Freuden ihr bis ans Ende dienen, und pries sich glücklich. Er fragte sie um Namen und Vaterland, ob er etwa von ihr singen oder sagen gehört habe.
Die Frau verkündigte ihm nun: ihr diene alles auf Erden, ihrer Krone beugen sich Kaiser und Könige, Herzoge, Grafen und Freiherren, und leisten ihr Gebot: allein Gott sei gewaltig über sie. Sie heiße Frau Welt und wolle ihn ihren Lohn für seinen langen Dienst schauen laßen.
Indem drehte sie sich um, und zeigte ihm ihren Rücken: der hieng voll Schlangen, Nattern und Kröten, war bedeckt mit Geschwüren und Blattern, auf welchen Fliegen und Ameisen wimmelten, und darunter Maden das Fleisch bis auf die Gebeine durchfraßen. Ein scheußlicher Gestank verbreitete sich; das glänzende Gewand ward zum schmutzigen Hader, und ihr minniglich leuchtendes Ansehen ward aschenbleich. Damit schied sie von hinnen.
Als der Ritter dieß Wunder sah, verschwur er sogleich den ferneren Dienst dieser Frau; er schied von Weib und Kind, nahm das Kreuz und fuhr übers Meer, dem Gottesheere zu Hülfe, wo er im Kampfe gegen die Heidenschaft durch stäte Buße dennochseiner Seelen Seligkeit erwarb.
Alle Weltkinder mögen dieses Märe merken: wie jammenrvoll der Welt Lohn ist, und wer in ihrem Dienste bleibt, die ewige Freude verliert.
Ich Konrad von Würzburg, rathe euch Allen, die Welt zu lassen, wollt Ihr die Seele bewahren.
Edward Schröder (Hrsg.): Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. Bd. I: Der Welt Lohn. [u.a.]. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1924, S. 1-11.
Text online (OCR-erfasst) > https://de.wikisource.org/wiki/Der_Welt_Lohn
Horst Brunner, Artikel »Konrad von Würzburg« in: Verfasserlexikon, Band 5 (1985), Sp. 272-304.
Skulptur am Südportal des Doms von Worms
Im Gegensatz zu den häufig zu sehenden Darstellungen des ›Fürsten der Welt‹ (lat. mundus, masc.) ist hier eine weibliche Figur (mhd. Frau Welt) dargestellt.

Abbildungen X und XI bei Stammler.
Wolfgang Stammler, Frau Welt. Eine mittelalterliche Allegorie, Freiburg (Schweiz) 1959 (Freiburger Universitätsreden NF 23).
Manfred Kern, Weltflucht. Poesie und Poetik der Vergänglichkeit in der weltlichen Dichtung des 12. bis 15. Jahrhunderts, Berlin / New York: de Gruyter 2009.
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